«Kleinboden»

Die österreichische Verteidigungslinie vor Ausbruch des Krieges

Die österreichische Verteidigungsdisposition (1912) sah vor, einen allfälligen italienischen Angriff über das Stilfserjoch auf einer zurückliegenden Sperre abzuschlagen. Diese Sperrlinie, verankert auf dem veralteten Fort Gomagoi, verlief in nördlicher Richtung nach Kleinboden, beziehungsweise nach Süden an den Bergrücken des Zumpanell. Die heute auf Kleinboden auffindbaren Spuren bezeugen diese Verteidigungsabsicht, welche jedoch während des Krieges nicht zum Tragen kam.

Unweit der Furkelhütte, die auch mit der Sesselbahn ab Trafoi bequem zu erreichen ist finden Sie im damaligen Artilleriestellungsraum Hinweise auf:

    • die ursprüngliche Absicht Österreichs zur Verteidigung des Stilfserjochs
    • die Bedeutung der Festung Gomagoi

Ausgangspunkt: Trafoi, mit der Sesselbahn zur Furkelhütte oder ab Stilfserjoch auf dem Wegstück „Trais Linguas“ zum Goldsee und weiter zur Furkelhütte. (ca. 3 h)
Endpunkt: Trafoi
Marschzeit: 60 Minuten ab Furkelhütte
Markierung: durch Informationstafeln
Anforderung: einfacher Spaziergang, keine wesentlichen Höhendifferenzen.

STRECKENFÜHRUNG „KLEINBODEN“

Nachfolgende Ausführungen beleuchten Orte entlang des Weges und klären deren historische Bedeutung. Einer eigentlichen Wegbeschreibung bedarf es nicht – die in der Folge beschriebenen Punkte sind im Gelände ohne Probleme auffindbar.

A: Bergstation: Allgemeine Informationen  B: Nahverteidigungsanlage C: Beobachterunterstand und Scheinwerferstellung D: Artilleriestellungsraum E: Weg zur Goldseestellung F: Festung Gomagoi

EINE WEGBESCHREIBUNG AUS MILITÄRHISTORISCHER SICHT

Nachfolgende Ausführungen beleuchten Orte entlang des Weges und klären deren historische Bedeutung. Einer eingentlichen Streckenbeschreibung bedarf es nicht. Die nachfolgend erklärten Sehenswürdigkeiten sind im Gelände problemlos erkennbar.

Die K.&k. Verteidigungsabsichten

Die ürsprüngliche Ideen Wiens zur Verteidigung habsburgischer Gebiete in Südtirol und im Trentino lassen sich lokal auf „Kleinboden“ und mehr noch bei der Festung „Gomagoi“ nachvollziehen. Es bedarf zu deren Verständnis aber zusätzlicher Klärung, damit der operative Zusammenhang in Betracht gezogen werden kann.

Im Nachgang an den zweiten (1859 mit der entscheidenden Schlacht von Solferino) und insbesondere dritten Italienischen Unabhängigkeitskrieg (1866 mit den bedeutenden Schlachten von Custozza, Lissa und Bezzeca) besann sich Kaiser Franz Josef I. von Österreich bzw. dessen Generalstab auf die Verteidigung der nach den territorialen Verlusten in Norditalien auf die Behauptung der verbliebenen Reichsgebiete. Das Resultat dieser Überlegungen war der Bau einer eindrücklichen Befestigungslinie mit Artillerie- und Sperrwerken.

Diese Werke wurden grenznah, an militärisch durchaus sinngebenden Orten errichtet – befanden sich aber dadurch oft einige Kilometer hinter der eigentlichen Reichsgrenze.

Die Linie der österreichischen Festungswerke zur Verteidigung des Reichsgebiets. Diverse Abschnitte sollten im Ereignisfall kampflos abgetreten werden. Dazu gehörte auch das Trafoital von der Passhöhe des Stilfserjochs bis nach Gomagoi. Abbildung aus: Accola/Fuhrer, Stilfserjoch-Umbrail 1914-1918, Dokumentation, Militärgeschichte zum Anfassen, Au, 2000.

Eines dieser Sperrwerke wurde in Gomagoi – am Zusammenfluss des Sulden- und Trafoibachs erstellt. Es handelte sich um eine Strassensperre mit kurzreichender Bewaffnung. Die heutige Strasse führt gewissermassen mitten durch die „Festung“ – während des Krieges wurde die Festung nördlich umfahren.

Das Sperrwerk bei „Gomagoi“ mit der erkennbaren, damaligen Strassenführung nördlich der Festung. Abbildung aus: Lempruch, der König der Deutschen Alpen, Digital: Sammlung Knoll, Archiv MUSEUM 14/18.

Die Strassensperre Gomagoi

Das Werk wurde in den Jahren 1860/62 erstellt. Das gemauerte Gebäude umfasst drei Etagen. Eigentlich blieb das Werk unbeschädigt, wäre nicht später das komplette Mittelteil durchbrochen worden, um die Straße (heutige Staatsstrasse 38) hindurchzuführen.

Es handelte sich um eine Strassensperre im wahren Sinne des Wortes, da die Anlage direkt auf die Reichsstrasse gesetzt wurde. Um die Sperre zu passieren musste man zwischen der rechten, nördlichen Flanke des Werkes und der etwa vier Meter entfernten Stützmauer des hier beginnenden Steilhanges des Übergrimm-Kammes durch das innere Tor hindurch, an einer Wachkasematte vorbei, durch das äussere Tor und dann über eine Zugbrücke. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges bereits hoffnungslos veraltet (die Mauern sind aus Stein ausgeführt), wurde die Sperre 1914 trotzdem in Verteidigungsbereitschaft versetzt.

Die Strassensperre Gomagoi. Aus: „Ausrüstungsgeneralentwurf Gomagoi der K.&k. Geniedirektion Brixen“, Staatsarchiv Wien, Digital: Archiv MUSEUM 14/18.
Gomagoi Bau Schussfeld
Dem Bau des Sperrwerks fielen feste Gebäude zum Opfer, um das notwendige Schussfeld zu ermöglichen. . Im Fachjargon wurde dazu der Begriff der „Rasierung“ verwendet. Bild aus: „Lempruch, der König der deutschen Alpen …“, Sammlung Knoll, Archiv MUSEUM 14/18.
Gomagoi
Die Strassensperre mit dem jetzt fehlenden Mittelteil auf einer Ansicht aus dem Jahr 2005; Bild: Wikipedia, Suchbegriff Strassensperre Gomagoi.

Den Schutz vor gegnerischen Umgehungsaktionen sollten die Flankenstellungen an beiden Talseiten gewährleisten. Der rechte (nördliche) Flankenschutz oblag den Stellungen bei „Goldsee“ (Siehe Wegstück „Trais Linguas“), „Kleinboden“ und am „Schafseck“. Der linke (südliche) Flankenschutz erfolgte aus Infanteriestellungen am steilen Grat des „Zumpanell“.

Massnahmen zum Flankenschutz der Strassensperre Gomagoi. Auf der Karte nicht ersichtlich: die Goldseestellung. Karte: map.geo.admin.ch, Bearbeitung: Accola.

Die Besatzung der Sperre wurde durch Detachemente verschiedener Verbände gewährleistet. Quellen belegen die beiden Landesschützenregimenter Trient (Nr. I) und Innichen (Nr. III), das Festungsartilleriebataillon Nr. 4 (Riva) sowie ein Detachement aus dem entsprechenden Bataillon Nr. 7 (Male, Val di Sole).

Die Bewaffung der Strassensperre bestand aus sechs Kasemattkanonen (Kaliber 9 cm), einer Kasemattkanone (8 cm) sowie fünf, durch Panzerplatten geschützte Maschinengewehre.

Die Anzahl der Geschütze zur erweiterten Flankensicherung der Sperre ist eindrücklich. In das Dispositiv einbezogen wurden:

  • Die Batterie Taufers mit insgesamt vier Kanonen (9 cm)
  • Die Batterie Kleinboden mit zwei Kanonen (9 cm)
  • Die Batterie „Schafseck“ mit vier Kanonen, je zwei mit Kaliber 9 und 8 cm
  • Die Batterie „Goldsee“ mit zwei Mörsern des Kalibers 15 cm und
  • die Kavernenbatterie „Steinadler“ mit zwei Kasemattkanonen (8 cm), welche aus dem noch älteren Festungswerk „Nauders“ abgezogen und dort in Stellung gebracht wurden.
Die 1913 geplante Artillerieabdeckung zum Schutz der Sperre Gomagoi. Erkennbar sind die Wirkungsräume und Zielgebiete der Stellungen „Goldsee“, „Schafseck“, „Kleinboden“ und der Wirkungsbereich der Kasemattgeschütze der Strassensperre. Aus: „Ausrüstungsgeneralentwurf Gomagoi der K.&k. Geniedirektion Brixen“, Staatsarchiv Wien, Digital: Archiv MUSEUM 14/18.

Die Artilleriestellungen auf „Kleinboden“ und am „Schafseck“

Die Rolle der beiden Stellungsräume wurde oben eingehend beschrieben. Die Zufahrt erfolgte via Stilfs und die Prader Alm, wo die Truppen auch untergebracht wurden. Dort wurden eigens dafür zahlreiche Unterkunftsbauten erstellt die auch nach Kriegsausbruch genutzt wurden, obwohl die Hauptkampflinie ab Mai 1915 auf der Passhöhe des Stilfserjochs verlief.

Ein Gedenkstein nahe der Prader Alm erinnert an die dreizehn Opfer des Lawinenunglücks am 25. Februar 1916. Betroffen waren Angehörige des I. Kaiserjäger-Regiments, des Festungsartilleriebataillons 4 und Standschützen der Kompanie Stilfs. Der Auszug aus dem Tagebuch der Truppe vermittelt die Sachlage am Unglückstag.

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Die Gedenktafel auf der Prader Alm, unweit des Artilleriestellungsraums „Kleinboden“.
Tagebuch 25 02 2016
Abschrift aus dem Tagebuch des Rayonskommandos I vom 25.02.1916. Quelle: Staatsarchiv Wien, Archiv: MUSEUM 14/18.

Die ursprüngliche Position der Geschütze lässt sich aufgrund der Akten aus dem „Ausrüstungsgeneralentwurfs der K.&k. Geniedirektion Brixen“ im Gelände sehr gut lokalisieren. Diese umfassende Sammlung aus dem Staatsarchiv Wien vermittelt sowohl die Planung als auch Umsetzung der rechten Flankenstellung der Strassensperre Gomagoi.

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Der Stellungsraum „Kleinboden“, Aus: „Ausrüstungsgeneralentwurf …“, Archiv: MUSEUM 14/18
Schafseck WEB
Der Stellungsraum „Schafseck“, Aus: „Ausrüstungsgeneralentwurf …“, Archiv: MUSEUM 14/18

Schutz der Artilleriestellung

Zum Nahschutz beider Artilleriestellungen wurden Infanteriestellungen und Beobachtungsposten vorgelagert.

Der Kampfgraben auf Kleinboden

Der Schutz der Stellung „Kleinboden“ sollte aus einer eindrücklichen, heute noch durchgehend begehbaren Infanteriestellung gewährleistet werden. Die betonierte und gedeckte Verteidigungsanlage mit mittelalterlich anmutigenden Schiessscharten verlief quer über die Hochfläche.

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Der Kampfgraben auf Kleinboden. Aufnahme Accola, 2006.
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Bergseitiger Zugang zur Infanteristellung auf Kleinboden. Aufnahme: Accola, 2006.

Die Infanteriestellung am Schafseck

Der Schutz der wenig nördlich des Artilleriestellungsraums Kleinboden liegende Schafseck’s ist weit weniger eindrücklich, obwohl dort ebensoviele Geschütze stationiert waren. Möglicherweise wurde dieser Stellungsraum erst später in die Planung und Umsetzung aufgenommen – obwohl die Quellen dies nicht belegen lassen, aber: es finden sich keine betonierten Schutzbauten zur Abwehr von infanteristischen Angriffen. Heute lässt sich der Verlauf der entsprechenden Gräben im Gelände aber noch nachvollziehen. Ein Ausschnitt aus einer Aufnahme von 1916 des Schweizerischen Nachrichtendienstes belegt deren dannzmaliger Ausbaustand. Die handschriftlichen Nachführungen basieren auf dem Stand im Herbst 1917. Es ist davon auszugehen, dass der Stellungsraum nicht abschliessend gesichert wurde.

Das „Schafseck“ auf einer Darstellung des Schweizerischen Nachrichtendienstens 1916, ergänzt 1917. Erkennbar v.l.n.r: die Prader Alm, der Stellungsraum „Schafseck“ mit den schützenden Infanteriestellungen und die Position „Kleinboden“, Quelle: Bundesarchiv Bern, Bestand E 27, Digitalisierung und Bearbeitung: Archiv MUSEUM 14/18.
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Blick vom „Schafseck“ auf die Prader Alm. Im Tal ist (links) Prad sowie (rechts am Trafoibach) Gomagoi erkennbar. Aufnahme Accola, 2006.
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Die Artilleriestellung auf Kleinboden, wie sich vom „Schafseck“ aus zeigt. Aufnahme: Accola, 2006.

Die „scheinwerferstellung“

Südlich des Artilleriestellungsraums „Kleinboden“ findet sich, leicht unterhalb der markanten Antenne am Plateaurand ein betonierter Unterstand mit einer Schiessscharte für ein Maschinengewehr. Bei einer Reichweite von 2000 Metern konnte das lafettierte Geschütz ab hier den südlichen Ortsrand von Trafoi bzw. die Stilfser-Joch-Strasse bestreichen.

Um einen nächtlichen Angriff rechtzeitig erkennen zu können, wurde hier neben der Waffe auch ein Scheinwerfer postiert. Dabei handelte es leistungsstarke Scheinwerfer mit Kohlebogenlampen. Diese Scheinwerfer bestanden in den Standardausführungen aus einem 1,5 Meter („150er“) oder zwei Meter („200er“) durchmessenden Parabolspiegel, der in seinem Fokus eine Bogenlampe aus zwei gepressten Wolfram-Kohlestäben trug. Der Parabolscheinwerfer war an seiner vorderen Öffnung mit hitzebeständigem Quarzglas in Form eines runden Deckels verschlossen und konnte zur Erneuerung der Kohlestäbe und Wartung aufgeklappt werden. Die Anordnungen benötigten eine hohe elektrische Leistung (ca. 12–15 Kilowatt), die von benzin- oder dieselbetriebenen Stromaggregaten erzeugt wurde.

Die Mg- und Scheinwerferstellung am Rand der Artilleriestellung „Kleinboden“. Aufnahme: Accola, 2006.
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Auf dem Weg zur „Scheinwerferstellung“ öffnet sich der Blick gegen das Stilfserjoch; Aufnahme Accola, 2006.
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Auf dem Weg zur „Scheinwerferstellung“ öffnet sich der Blick gegen das Stilfserjoch; Aufnahme Accola, 2006.

Die Kriegsereignisse entlang der „Ortlerfront“

Während der ganzen Begehung des Stellungsraums „Kleinboden“ schweift der Blick unweigerlich und wiederholt gegen Süd-Südost um sich am eindrücklichen Gebirgspanorama sattzusehen. Mit nachfolgend vermittelten Informationen werden Sie die verbliebenen Eishänge und Felsgrate unter einem ganz anderen Blickwinkel bestaunen, verliefen dort doch während des Krieges Gefechte und Angriffsaktionen, welche ihresgleichen vergeblich suchen.

Die Positionen entlang der Grenze zwischen dem Ortler und der Tucketspitze. Blau dargestellt die österreichischen Stützpunkte, in Rot jene der Alpini. Darstellung: Accola, basierend auf einer Aufnahme aus dem Jahr 2006.

Jede der oben angebildeten Bergspitzen könnte seine eigene Kriegsgeschichte erzählen. Zwei Ereignisse beieindrucken aber in besonderer Weise und sollen hier stellvertretend für die heute unvorstellbaren Aktionen beider Kriegsparteien beschrieben werden.

Die Geschütztransporte auf den Gipfel des Ortlers

Die Besteigung des 3905 m hohen Eisgipfels ist grundsätzlich erfahrenen Berggängern vorbehalten. Es bedarf der entsprechenden Ausrüstung und Kenntnisse alpiner Risiken und Gefahren. Wer den dominanten Berg besteigen möchte, tut das am besten in Begleitung eines lokalen Bergführers.

Der Normalweg auf diesen Eisriesen verläuft über die Payerhütte und stellt vor allem Anforderungen an die Trittsicherheit im leichten Schroffengelände (1 – 2 Schwierigkeitsgrad, kurze Stelle 3+) und verlangt sicheres Gehen im steilen Firn bzw. Eis (kurze Stellen bis 40°). Ortleraspiranten sollten nur bei sicherem Wetter starten, der Felsgrat ist bei Schneelage heikel, auf dem flachen Ortlerplateau kann man sich leicht verirren. Gesamt aber eine der besten Hochtouren in den Ostalpen, bei der nach dem 5-stündigen Aufstieg ein grandioser Ausblick in die Gletscherwelt wartet. (Zitiert nach: www.bergsteigen.com)

 

Über diese Route verlief im Sommer 1916 auch der Transport von mehreren Gebirgskanonen welche auf dem Gipfel und dem Pleisshorn in Stellung gebracht wurden. Der Gipfelstützpunkt wurde mit ca. 30 Mann dauernd besetzt und durch eine Feldwache mit zwei Maschinengewehren am Hochjochgrat gesichert. Diese Stellung war durch einen 150 Meter langen Eisstollen mit der erstellten Unterkunft verbunden.

Ortler Aufstiegsroute Payerhütte Soldaten(3)
Ausgangspunkt der Transporte war die Julius Payer Hütte, welche aus dem Suldental durch eine Transportseilbahn erschlossen wurde. Die mächtige Unterkunft auf 3029 m auf dem Tabarettagrat thronende Alpenvereinshütte wurde 1875 erstellt. Bild: Haller, Sammlung Knoll, Archiv MUSEUM 14/18.
Ortler Aufstiegsroute Payerhütte Soldaten
Aufstiegsspur unterhalb der Tabarettaspitze auf dem Weg zu den „Wandeln“ und der „Scharte“, ab welcher die Spur dann über den Oberen Ortlerferner zum Gipfel (oben links) führte. Bild: Haller, Sammlung Knoll, Archiv MUSEUM 14/18.

Zum Transport der „Ortlerkanonen“ wurden sowohl Standschützen des Bataillons Prad (mit Angehörigen der Standschützenkompanien I. Prad, II. Laas, III. Tschengels und IV. Lichtenberg) als auch russische Kriegsgefangene eingesetzt. Die gebirgstechnische Leitung der Transporte oblag der Bergführern der Hochgebirgskompanie 30, welche die notwendigen Sicherungsmassnahmen verantwortete.

Aus diesen spezialisierten Einheiten haben sich mehrere Exponenten hervorgetan, deren Namen und Taten heute noch verbreitet sind. Hauptmann Lois Molterer war Kommandant der besagten Kompanie deren Ruhm mit den Aktionen am Ortler, am Eiskögele und an der Trafoier Eiswand begründet wird. Oberleutnant Leo Handel sollte seine Erfahrung als „Eisbau-Meister der Marmolata“ später an der Hohen Schneid anwenden und der Meraner Oberleutnant Franz Haller ging als Kommandant der Geschütztransporte auf den Ortler in die Lokal- und Militärgeschichte ein.

Dr. Franz Haller, jener Bergführeroffizier der alle Geschütztransporte in die Höhenstellungen leitete, berichtet vom Transport der ersten beiden Ortlergeschütze im Sommer 1916  sinngemäss folgendermassen:

Die beiden Geschütze wurden von Gomagoi durch das Suldental nach Sulden und von hier aus unter grosser Mühe zur Payerhütte gebracht. Die Transportseilbahn zur Hütte konnte lediglich für leichtere Teile der Lafetten sowie für die Munition verwendet werden, da die Tragkraft der Seile nicht gross genug war. Ab der Payerhütte erfolgte der Transport auf Schlitten – ein Geschütz konnte in zwei Teile aufgeteilt werden. 30 Bergführer und ebensoviele russische Kriegsgefangene zogen das erste Geschütz über den steilen Ortlergrat auf den Gipfel.  Im Originalton berichtet Haller weiter:

„Nach weiteren fünft Tagen lagen alle Teile des ersten Geschützes am Ortlergipfel, und die Artilleristen begannen sofort mit der Montierung. Es folgte in gleicher Weise das zweite Geschütz ohne Zwischenfall in die luftigen Höhen und wurden in der rechten Flanke des Ortlers am Pleisshorn aufgebaut. In den nächsten Tagen folgte die Munition, und dann waren wir feuerbereit.“

Ortler Geschütztransport Mannschaft Haller(2)
Die Geschütze wurden in zwei Teillasten (Laffette bzw Rohr) auf Schlitten zu den Stellungsorten transportiert. 24 Mann zogen diese an Seilen hinter sich her. Bild: Haller, Sammlung Knoll, Archiv MUSEUM 14/18.
Ortler Geschütztransport Mannschaft Haller(6)
Die Teillasten der Geschütztransporte – wenige Meter unterhalb des Ortlergipfels. Bild: Haller, Sammlung Knoll, Archiv MUSEUM 14/18.

DER EINSATZ VON KRIEGSGEFANGENEN

Wenn wir der grossartigen Leistung der Geschütztransporte etwas unrühmlichen Abringen möchten, ist doch festzuhalten, dass der Einsatz russischer Kriegsgefangener kriegsvölkerrechtswidrig war. Die heute noch gültige „Haager Landkriegsordnung“ (HLKO) wurde bereits in der Fassung von 1899 von allen, später am Ersten Weltkrieg beteiligten Kriegsgegnern unterzeichnet.

Das zweite Kapitel dieses völkerrechtlich bindenden Abkommens umschreibt Rechte und Pflichten von Kriegsgefangenen, wobei der Artikel 6 hinsichtlich deren Arbeitsleistung besagt:

„Der Staat ist befugt, die Kriegsgefangenen mit Ausnahme der Offiziere nach ihrem Dienstgrad und nach ihren Fähigkeiten als Arbeiter zu verwenden. Diese Arbeiten dürfen nicht übermässig sein und in keiner Beziehung zu den Kriegsunternehmungen stehen“.

Während der Beizug Kriegsgefangener zu Erntearbeiten rechtens war, handelte es sich bei Einsätzen zur Frontversorgung im Gebirge sicher um die Kategorie der verbotenen „übermässigen Arbeit“ und diese standen im unmittelbaren Bezug zur „Kriegsunternehmung“.

Ortler Geschütztransport Mannschaft Haller(11)
Die fremden Uniformen verraten es: Kriegsgefangene beim Geschütztransport am Ortler. Bild: Haller, Sammlung Knoll, Archiv MUSEUM 14/18.
Ortler Geschütztransport Kriegsgefangene Haller
Die unterschiedlichen Kopfbedeckungen sind augenfällig, wobei insbesondere die nicht wirklich gebirgstaugliche Tellerkappe des russischen Infanteristen auffällt. Bild: Haller, Sammlung Knoll, Archiv MUSEUM 14/18

Der Gipfelstützpunkt

Vorgängig zu den Geschütztransporten – und insbesondere zur Unterbringung der Gipfelbesatzung wurden im Gipfeleis des Ortlers notwendige Infrastrukturen erstellt. Auch für diese Massnahmen musste Bau- und Brennholz, Öfen zur notdürftigen Beheizung, Lebensmittel und alles weiter notwendige auf beschriebenem Weg auf den Gipfel gebracht werden.

Zusätzlich musste am Vorgipfel eine Feldwache errichtet werden, um die italienischen Massnahmen am Ortlerpass und am Hochjochgrat im Auge zu behalten. Drahthindernisse und Infanteriegräben sollten den Stellungsraum der Artilleriegeschütze vor gegnerischen Angriffen schützen.

Ortler Eingang Zur Gipfelkaverne
Einstieg zur Unterkunftsbaracke, die in einer Eisgrotte wenige Meter unterhalb des Gipfels errichtet wurde. Bild: Haller; Archiv: MUSEUM 14/18, Sammlung Knoll.
Ortler Gipfelkaverne Mannschaft(2)
Im Innern der Unterkunftsbaracke am Ortlergipfel. Bild: Haller; Archiv: MUSEUM 14/18, Sammlung Knoll
Ortler Hochjochgrat MgStellung Trafoier
Der Blick aus der Feldwache am Hochjochgrat auf die italienisch besetzte Thurwieserspitze. Rechts davon der Doppelgipfel der Trafoier Eiswand, welche zum Zeitpunkt der Ortlerbesetzung im Sommer 1916 ebenfalls von den Italienern besetzt war. Bild: Haller; Archiv: MUSEUM 14/18, Sammlung Knoll.
Ortler Gipfelstützpunkt Drahthindernis Königspitze
Drahthindernisse zur Nahverteidigung des Ortlerstützpunkts. Dominierend: der Gipfel der Königsspitze, dessen Besetzung im Sommer 1917 zu einen wahrhaften Wettlauf beider Kriegsgegner führte. Bild: Haller; Archiv: MUSEUM 14/18, Sammlung Knoll

Die Ortlerkanonen

Wieviele Geschütze auf dem Gipfel des Ortlers zwischen Sommer 1916 und dem letzten Kriegsjahr in Stellung gebracht wurden lässt sich nicht abschliessend belegen. Es gibt aber zahlreiche Abbildungen von Gebirgskanonen, deren Standort sich auf Grund der erkennbaren Umgebung aber auf oder in Gipfelnähe verorten lassen. Auch vermitteln die Frontberichte wiederholt Informationen zur Wirkung der Ortlergeschütze – aber wir können nicht ausschliessen, dass auf dem Gipfel Stellungswechsel vorgenommen wurden und dazu nicht zusätzliche Kanonen auf den Berg transportiert wurden. Der Transport zweier Geschütze im Sommer 1916 ist belegt, deren Stellungs- und Wirkungsraum bekannt. Zumindest schildert Haller die „Feuertaufen“ der beiden alten Kanonen (1899) wie folgt:

„Auf dem Thurwieser wurde eine italienische MG-Stellun errichtet, die den Tiroler Mannschaften den Weg zum Kleinen Eiskögele sauer werden liess. Da gelang es der Tiroler Ortlerbesatzung mit einem einzigen, wahren Meisterschuss des eben erst hinaufgeschleppten Ortler-Geschützes, das italienische MG Nest auf dem Thurwieser zu pulverisieren.“

Belegbar ist auch der Transport zwei weiterer Geschütze im August 1916 auf das Pleisshorn mit Wirkungsraum „Ortlerpass“. Diese zwei Gebirgskanonen entsprachen einem etwas moderneren Modell.

Dann wird die Quellenlage dünner: Mit dem „Wettlauf zur Königsspitze“ bedurfte es einer weiteren Wirkung von Artillerie-Geschützen. Ob dazu aber weitere Kanonen angeliefert wurden oder ob auf dem Gipfel vorhandene Geschütze in eine neue Position gebracht wurden ist derzeit nicht schlüssig belegbar.

Hätte es 1916 schon eine Auszeichnung für das „Pressebild des Jahres“ gegeben, hätte es diese Aufnahme der 7 cm Gebirgskanone M 1899 auf dem Ortlergipfel mit Sicherheit in die engere Auswahl geschafft. Die Panzerplatte wurde entfernt um durch das trefflich inszenierte Bild der Welt vermitteln werden sollte, dass der höchste Stützpunkt des Ersten Weltkriegs fest in österreichischer Hand sei. In Schussrichtung: der Gipfel der Königspitze, links der Cevedale. Bild: Franz Haller, Archiv MUSEUM 14/18, Sammlung Imboden.
Ortler Geschütz In Stellung Thurwieser
Das erste Ortlergeschütz (3860 m ü. M.) mit Wirkungsraum Thurwieserstellung. Bild aus: Lempruch; Digital Archiv: MUSEUM 14/18.
Ortler Geschütz In Stellung
Das zweite Ortlergeschütz (am Pleisshorn) mit Wirkungsraum Ortlerpass. Bild aus: Lempruch; Digital Archiv: MUSEUM 14/18.
Schussrichtungen der Ortlergeschütze zu den Brennpunkten am Ortlerpass (ab Pleisshorn), der Thurwiese- und Königsspitze (ab Ortlerstützpunkt). Karte: Kompass Wanderkarte Südtirol online; Bearbeitung: Accola
Ortlergeschuetz
Die militärischen Einrichtungen am Ortler von der Rötelspitze gesehen. Ausschnitt aus der nachbearbeiteten Aufnahme des Schweizerischen Nachrichtendienste.: Quelle; Bundesarchiv Bestand E27, Digital Archiv: MUSEUM 14/18.
Ortler Gipfel Geschütz In Stellung
Das Ortlergeschütz, wenige Meter unterhalb des Gipfels in Stellung. Bild: vermutlich Haller,  Archiv: MUSEUM 14/18, Sammlung Knoll

Wirkung und Mythos

Im Nachgang des Krieges wurde oft und kontroverse darüber debattiert, ob sich der riesige Aufwand zur Positionierung von Geschützen und deren Versorgung auf dem Ortlergipgel gelohnt hat. Betriebswirtschaftlich würde man nach einer  Bilanz zwischen der getätigten Investition und des erzielten Gewinns fragen. Die Endabrechung kann selbstredend keine schwarzen Zahlen ausweisen; auch die Ortler-Soldaten gehörten im November 1918 zu den Verlierern des Krieges.

Wenn es sich bei den Ortlergeschützen auch um damals schon „alte Damen“ gehandelt hatte – Baujahr 1899 und nicht auf technologischem Stand ihrer Nachfolgerinnen der Feldarmee – so war deren Verfügbarkeit und insbesondere deren Zuverlässigkeit doch von Bedeutung.

Die Möglichkeit, italienische Stützpunkte am Thurwieser und auf der Königsspitze unter Feuer zu nehmen, war für den Kampfverlauf entlang dieser Gipfel und Grate im Sommer und Herbst 1917 entscheidend, wie sich im nächsten Kapitel nachvollziehen lässt.

Die psychologische Wirkung der Ortlerbesetzung auf die eigene und auch gegnerischen Truppen darf aber nicht unterbewertet bleiben. Die Behauptung des „Königs der Deutschen Alpen“, die Besetzung des weltweit höchtsten Stützpunkts des Ersten Weltkriegs, die Fähigkeit, diesen Stützpunkt auch über längere Zeit dauerhaft zu Versorgen: all dies beeindruckte sowohl Militärs als auch die zivile Bevölkerung, welche über die damaligen Zeitungen aktiv über den Verteidigungswillen der k.& k. Streitmacht informiert wurde.

Im Vergleich zu anderen, auch äusserst spektakulären Abschnitten der österreichischen Südostfront, verfügen wir heute über zahlreiches Bildmaterial aus dem Verteidigungsrayon I – insbesondere aus dem Frontabschnitt „Ortler“. Die vornehmlich für die einheimische Presse inszenierten Aufnahmen wurden von der „Kriegszensur“ grosszügig freigegeben und verbreitet. Dies unterstützte den Mythos, eines  (Zitat) „selbstlosen Widerstands gegen die walschen (fremden, italienischen) Verräter.“

Trafoier Eiswand

Von einer weiteren Parforceleistung beider Kriegsparteien zeugen die Ereignisse rund um den Gipfel der Trafoier – Eiswand. Wie schon der Name dieses 3566 Meter hohen Gipfels erahnen lässt: hier wird es steil, eisig und kalt!

Um die Bedeutung der nachfolgend beschriebenen Gefechte zu verstehen, bedarf es der Kenntnis des Frontverlaufs im Hochsommer 1917.

Frontverlauf im Sommer 1917. Besetzte Line Österreich-Ungarns (blau): Dreisprachenspitze – Stilfserjoch – Monte Scorluzzo – Passo delle Plattigiole – Naglerspitze – Geisterspitze – Hohe Schneid (Ostgpifel) – Payerspitze – Tuckettspitze – Madatschkamm – Schneeglocke – Kleines Eiskögele – Ortler –  Königspitze … Italienisch besetzte Linie (rot): Pass Umbrail – Rese di Scorluzzo – Filone del Mot – Monte Cristallo (Hohe Schneid Westgipfel) – Passo dei Camosci – Trafoier Eiswand – Bäckmanngrat – Thurwieserspitze – Ortlerpass – Hochjochgrat – Monte Zebru – Königsspitze (Schulterstellung). Karte: Kompass, Wanderkarte online, Bearbeitung: Accola.

Eine schmerzliche Lücke – der Pfahl im Magen

Bei genauer Betrachtung des Verlaufs beider Linien fällt auf, dass die Kammlinie vom Stilfserjoch bis hin zur Grossen Schneeglocke durch österreichische Truppen besetzt war. Der dann folgende Abschnitt von der Trafoier Eiswand über den Bäckmanngrat zum Gipfel der Thurwieserspitze und bis hin zum Ortlerpass wurde hingegen von den Italienern behauptet, womit diese über den entscheidenden Vorteil verfügten, Einsicht auf alle Bewegungen entlang der Stilfserjoch-Strasse zu haben. Versorgungskolonnen auf die Franzenshöhe, aber auch einzelne Versorgungstrupps zur Unterstützung der österreichischen Höhenstellungen konnten so genau beobachtet werden und der dort stationierter Artilleriebeobachter leitete das zu deren Bekämpfung wirksame Feuer sehr treffsicher. Die, dem grossen Clausewitz in den Mund gelegte Soldatenweisheit, dass „wer die Höhen habe, auch die Tiefe bzw. die Täler dominiere“ fand hier ihre beispielhaft mustergültige Anwendung.

Dieser „Stachel im Auge“ – Lempruch bezeichnete es als „Pfahl im Magen“ des östtereichischen Verteidigungsdispositv seines Rayons – musste beseitigt werden.

Stützpunkte und Feldwachen im Bereich der „Lücke“ des österreichischen Verteidigungsdispositivs entlang der Kammlinie am Bäckmanngrat. Österreichs Positionen (blau) v.l.n.r: Tuckettjoch- Madatschkamm – Schneeglocke – Nashorn – Kleines Eiskögele. Italienische Stellungen (rot) v.l.n.r: Passo dei Camosci – Trafoier Eiswand – Bäckmanngrat mit mehreren Feldwachen – Thurwieserspitze – Eiskögele – Ortlerpass.  Karte: Kompass, Wanderkarte online, Bearbeitung: Accola.

Die italienischen Feldwachen entlang des Bäckmanngrates sollten entsprechend geräumt werden. Moritz von Lempruch bewertet in seiner bebilderten Berichterstattung die Varianten und Risiken zur Umsetzung des zwingend notwendigen Vorhabens. Dabei beurteilt er alle Optionen und kommt letztlich zum Schluss, dass die aufwändigste auch die erfolgsversprechende sei. Der italienische Gipfelstützpunkt auf der Trafoier Eiswand sollte mittels eines zu erstellenden Tunnels durch die bis zu 50 Grad steile Nordwand erobert werden. Sturmtruppen sollten die Gipfelbesatzung bei Nacht überrumpeln, deren Unterkünfte übernehmen und den Eiswandgipfel dauerhaft besetzen. Aktionen zur Räumung der Feldwachenlinie am Bäckmanngrat und auf der Thurwieserspitze sollten dann später ab dort erfolgen.

Tunnel Trafoier Eiswand
Blick von der Schneeglocke gegen den Eiswandgipfel. 1: österreichisch besetzte Eiswandschulter (3421), 2: Eiswandgipfel (3565), 3: Ortlerhochjochgrat, 4: Eiskögele; 5: Ortlervorgipfel; ….. Verlauf des Angriffstunnels, 6-6: italienische Schiessscharten. Abbildung und Legende aus Lempruch, Ortlerkämpfe.
Eiswand Tunnel
Bildbeschreibung auf der Rückseite der Aufnahme: „Bei beginnender Steilheit werden Wendeltreppen in das Eisgeschlagen. Angriffsstollen, Trafoier Eiswand“. Quelle: Archiv Schaumann, Digital: MUSEUM 14/18, Sammlung Schaumann.

Der Angriff

Den Angriffsverlauf schildert Lempruch in seiner Dartstellung folgendermassen:

„Der Ausbruch und die Wegnahme der Stellung wurden für die frühen Morgenstunden des 1. September 1917 in Aussicht genommen und auch wirklich durchgeführt. Vorher waren alle Vorbereitungen wie: Etappenweise Deponierung von Verpflegungsvorräten in dem, etwa 1500 m langen Tunnel, Bereitstellung von Seilbahnmaterial zur sofortigen Aktivierung einer Nachschublinie in die eroberte Stellung nach Wegnahme derselben, Ansammlung von Munition usw. genauestens getroffen worden.“

Die Hochgebirgskompanie 30 vor der Erstürmung der Eiswand beim Abmarsch in Trafoi. Quelle: Archiv Schaumann, Digital: MUSEUM 14/18, Sammlung Schaumann.

„Als der überraschende Ausbruch gelungen und der schlaftrunkene Gipfelposten lautlos in Empfang genommen, auch die feindliche Alarmleitung abgeschnitten war, zeigte es sich, dass die Stellungsbesatzung in einer auf einer Felsstufe südlich der Gipfelstellung und etwa 50 m tiefer als diese befindlichen Baracke untergebracht war. Oberleutnant Bayer seilte sich nun, kurz entschlossen, mit einigen seiner kühnen Leute über die steile Felswand ab, um den Feind, der durch den unvermeidlichen Lärm schon aufmerksam geworden war und zu schiessen begann, womöglich in seiner Unterkunft dingfest zu machen. Die in den Fels- und Eiszacken nächst der Ausbruchstelle eingenisteten eigenen Feuerstaffel unterstützte das Vorgehen der kühnen, schliesslich in heftiges Feuer kommende Seilpartie durch wohlgezielte Schüsse. Ein Teil des Feindes war, notdürftig bekleidet, aus den Baracken gelaufen, ein Teil befand sich noch in derselben. Es kam zu einem erbitterten Handgemenge mit Handgranatenkämpfen, in welcher wir schliesslich, wie durch ein Wunder verlustlos bleibend, die Sieger waren.“

OE Stellung Eiswand
Die österreichische Eiswand-Schulterstellung. Abbildung aus Lempruch, Ortlerkämpfe 1915-1918.
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Eroberte italienische Stellung unterhalb des Eiswandgipfels. Abbidlung aus: Lempruch, Ortlerkämpfe 1915-1918.

„Zwei Offiziere – darunter der Artilleriebeobachter der Eiswand – und zirka 30 Mann wurden gefangen, reichlich Verpflegungs- und Waffevorräte sowie eine ganze Kompaniekanzlei mit für uns ungemein wertvollen Aufzeichnungen, Instruktionen, Befehlen, Tagebüchern, Photographien, Karten usw. erbeutet. Der Feind hatte durch Absturz, Gewehr- und Handgranatenfeuer schwere Verluste erlitten.

Unsere neue Besatzung richtete sich in den feindlichen Linien sofort ein; der in den Morgenstunden des 1. September versuchte, durch eiligst herangebrachte Reserven genährte feindliche Gegenangriff scheiterte unter neuerlich schweren Verlusten. Die Einvernahme der Gefangenen ergab weiteres für die Verteidigungsführung sehr wertvolles Material; aus den Offizieren, die sich sehr würdevoll benahmen, war indessen, trotz aller, auch meiner [Lempruch] Bemühungen, nichts herauszubringen, was ich hier, zu ihrer Ehre, ausdrücklich feststellte.“

Soweit also die Darstellung Lempruchs zur verwegenen Aktion der Hochgebirgskompanie an der Trafoier Eiswand.

Die italienische Reaktion

Nach erfolgreicher Besetzung des Eiswandgipfels sollten Vorbereitungen zum weiteren Vorstoss entlang des Bäckmanngrats zur Thurwieserspitze und zum Ortlerpass getroffen werden. Die italienische Artillerie unterband aber entsprechende Vorhaben durch heftigen Beschuss der österreichischen Eiswandstellung. Gleich vier Batterien nahmen den Gipfel unter Dauerfeuer. Erschwerend kam dazu, dass der Eistunnel – über welchen die Versorgung erfolgen musste – oft einstürzte und erst nach dessen Wiederinstandstellung benutzt werden konnte.

Der intensive Artillerieeinsatz war unterügliches Zeichend dafür, dass die Italiener eine Rückeroberung der Eiswandstellung vorbereiteten. Österreichischerseits galt es abzuwägen, ob der Verbleib der wenigen, oft von der Versorgung abgeschnittenen Gebirgssoldaten auf dem Grat zu rechtfertigen sei und ob man sie einem erwarteten Gegenangriff aussetzten soll. Die taktische Bedeutung der Eiswandstellung war aber für beide Parteien entscheidend und so fiel der österreichische Entscheid, die Stellung zu halten.

Lempruch beschreibt in seinem Werk die nun folgende Aktion wiefolgt:

„Am 3. September, an einem klaren, sichtigen Vormittag, erfolgte der erwartete feindliche Gegenangriff unter noch nie gesehener, rücksichtsloser Einsetzung von Menschen seitens des Feindes. Es stand eben für ihn zu viel auf dem Spiel, was allein die von ihm getroffenen Massnahmen in den Augen objektiver, militärischer Kritik zu rechtfertigen vermag.

Heftiges konzentriertes Artilleriefeuer lag seit dem Morgengrauen auf der Gipfelstellung, so dass der an diesem Tage das Stellungskommando führende tapfere und vielbewährte Kaiserjägerleutnant Kurzbauer, ein Wiener, alle Mühe hatte, unnötige Verluste hintanzuhalten; dann griff der Feind, unbekümmert um seine grossen Verluste, in drei starken Angriffskolonnen die Stellung an.“

Die Situation am 3. September 1917 morgens: Vorstoss der italienischen Alpine (rot) gegen die österreichische Eiswandstellung. Die Pfeile vermögen die alpintechnische Herausforderung unter zusätzlicher Bedrohung feindlichen Beschusses nicht wirklich zu vermitteln. Karte: Kompass Wanderkarte Südtirol online; Bearbeitung: Accola

Lempruch führt weiter aus:

„Eine Staffel stieg vom Passo dei Camosci empor, eine zweite vom Camoscigletscher in nordwestlicher Richtung. Eine dritte bewegte sich längs des Bäckmanngrates, also vom Thurwieser her, gegen West. In Summe mögen an 450 Mann an diesem Angriff beteiligt gewesen sein, welchen unsere Eiswandgipfelbesatzung in der Stärke von 15 Mann gegenüberstand. Ich liess meine gesamte für diesen Raum in Betracht kommende Artillerie ihr höchstgesteigertes Feuer entfalten. Die Batterien Ortler und Pleisshorn, die Geschütze der Madatschstellung, die Kanone am Nashorn, die zwei Feldhaubitzen am Monte Livrio, in Summe elf Geschütze, vereinigten ihr Feuer auf den kleinen Angriffsraum. Von der Königspitze, vom Ortler und von den Kristallspitzen aus konnte man beobachten, dass der Feind schwerste Verluste erlitt. Massenhaft sah man die Alpini vom Bäckmann- und Camoscigrat in die furchtbaren Tiefen auf unserer und auf italienischer Seite abstürzen. Die Eiswandgipfelstellung mit ihrem schneidigen Anführer, dem Leutnant Kurzbauer, der dabei mehrfach verwundet wurde, wehrte sich gegen die etwa 30fache Übermacht heldenmütig. Ihre Maschinengewehre räumten unter den vorwärtsstürmenden Feinden furchtbar auf. Bald war durch eine Umgehungsbewegung des Feindes, die den Eistunnel blockierte, dem kleinen Häuflein der Unseren der Rückzug abgeschnitten. Der Feind drang in die Stellung und besetzte sie. Von unserer Besatzung waren acht Mann gefallen, der Rest mehr oder weniger schwer verwundet. Leutnant Kurzbauer wurde mit den Überlebenden, nachdem diese vorher die Maschinengewehre vernichtet hatten, gefangen genommen. Die Eiswandgipfelstellung war zwar für uns verloren; die Verteidigung derselben aber, ohne weiteres mit dem  Kampf um die Thermophylen vergleichbar, bildet ein goldenes Blatt im Lorbeerkranz der Tiroler Landesverteidigung 1915/18. Auch die Tapferkeit und Opferfreude des Feindes muss voll anerkannt werden. Seine blutigen Verluste bei dieser Aktion sind mit etwa 120 Mann gewiss nicht zu hoch gegriffen.“

Fake News ? - Der Umgang mit Quellen

Woher wissen wir was damals war und entspricht dies auch wirklich der Wahrheit? Die Auswertung von Quellen, Aufzeichnungen, Legenden und Anekdoten bedarf des notwendigen Fingespitzengefühls.

Primärquellen gelten als zuverlässig. Unter diese Kategorie fallen die Truppentagebücher sowie heute noch verfügbare „Kriegsakten“ wie Befehle, Dienstvorschriften und Telegramme. Allen gemeinsam ist das Kriterium des „unmittelbaren Zeitpunkts“ –  in Tagebüchern wurde abends festgehalten, was vorgefallen war und dies in Unkenntnis der später tradierten Wirkungsgeschichte – sowie der Umstand, dass diese Quellen grundsätzlich nicht in gedruckter Form vorliegen. Entsprechende Unterlagen finden sich in staatlichen Archiven, sind aber bedauerlicherweise oft lückenhaft. Der mangelnde Aktenrückschub von der Südwestfront ab Frühjahr 1917 zeugt vom Zerfall der ansonsten „durch-und durch-administrierten Monarchie Habsburgs“.

So ist ausgerechnet das Truppentagebuch des Sommers 1917 mit den Ereignissen rund um die Trafoier Eiswand im österreichischen Staatsarchiv unauffindbar.

Sekundäre Quellen sind differenzierter zu betrachten. Dabei handelt es sich um eine zusammenhängende, auf Primärquellen basierende, Darstellungen von Ereignissen, deren Wirkung auf dem Zeitstrahl zum Zeitpunkt der Publikation bekannt war. Aufzeichnungen von Kriegsteilnehmern – wie bspw. Lempruchs Werk, veröffentlicht 1925 – fallen unter diese Kategorie. Die Darstellung von Fakten und die auf Erinnerung oder auch Rechtfertigung basierenden Interpretationen bewegt sich im Bereich des zumindest teilweise „Anzweifelbaren“.

Darstellungen wiederum basieren auf Primär- und Sekundärquellen welche, wenn fundiert verfasst, andere möglichst gegnerische Quellen spiegeln und werten. Unter Verweis auf die entsprechend zititerten Quellen erheben diese meist den Anspruch, einer wissenschaftlichen Arbeit zu genügen und werden als Masterarbeit oder gar als Dissertation eingereicht und publiziert. Die Inhalte dieser Website fallen ebenfalls unter diese Kategorie …

Die Krux mit Bildern und Zahlen …

Zu Abbildungen muss man wissen: alle veröffentlichten Photos – und damit wohl auch der heute verfügbaren Originalbilder – unterlagen der Zensur. Freigegebene Bilder wurden zielgerichtet inszeniert – Abbildungen von gefallenen Soldaten sind dabei wohl den zensierenden Stellen entgangen, aber davon finden sich ganz wenige.

Wie bei Bildern haben auch Zahlen eine psychologisch wesentliche Beeinflussung des Lesers zur Folge: Italienische Quellen beziffern die Anzahl beteiligter Soldaten grundsätzlich anders, als dies die österreichischen Darstellungen tun. Heldenhafte Verteidigung wird dann als solche wahrgenommen, wenn sich Wenige gegen ein Vielzahl an Angreifern erfolgreich wehren; Angriffe entsprechend bei einer Anzahl Weniger gegen viele Verteidiger. Verglichsweise entspricht das dem Umstand, dass eine Fussballmanschaft nach drei Platzverweisen immer noch ein ehrenvolles Untentschieden erreichen konnte…

Truppentagebuch
Abbildung des Tagebuchs des Verteidigungsrayons I vom 22. Dezember 1916 und den nachfolgenden Tagen. In den ersten Kriegstagen erfolgten die Eintragungen ausschliesslich handschriftlich, die ergänzende Einfügung von Telegramm-Streifen beginnt mitte 1916. Die in blauer Schrift dominant angebrachten Ergänzungen sind abschliessend nicht nachvollziehbar, es ist aber denkbar, dass die Signaturen die Einsichtnahme des Kommandanten bestätigen. Ob es sich bei der Signatur auf der linken Seite (unten rechts) um das „Kürzel“ Lempruch handelt ist denk- aber nicht belegbar. Von den Tagebüchern des Verteidigungsrayons wurde nach dem Krieg eine Abschrift erstellt. Siehe Abbildung unten. Quelle: Staatsarchiv Wien, Digital: Archiv MUSEUM 14/18.
Truppentagebuch Abschrift Dezember 1916
Die Abschrift des oben abgebildeten Tagebuchs, die sich ebenfalls im Wiener Archiv finden lässt. Die ausführende Schreibkraft, wie auch das Datum der Erstellung ist unbekannt.  Auffallend: der oder die Verfasser(in) hat aus der primären Quelle bereits eine Wertung vorgenommen. Die Inhalte von Telegramm-Inhalten wurden aus unbekannten Gründen nicht übernommen. Der Inhalt der Primärquelle wurde reduziert, so dass es sich hier bereits um eine Sekundärquelle mit amtlichem Charakter handelt. „Ad Fontes“ – zu den Quellen – wo immer nur möglich sind die Originale zur Bildung eines glaubhaften Bildes beizuziehen. Quelle: Staatsarchiv Wien, Digital: Archiv MUSEUM 14/18.
Zensur
Rückseiten von Aufnfahmen aus den Frontabschnitten vermitteln oftmals mehr Informatinonen als deren eigentlicher Bildinhalt. Hier die Freigabe eines Bildes mit vorgegebener Legende der Dreisprachenspitze. Das in ungarischer Sprache verfasste Formular bewillgt die Publikation des Bildes unter verbindlicher Angabe der Bildunterschrift. Quelle: Staatsarchiv Wien, Digital: Archiv MUSEUM 14/18.
Empfehlenswerte Literatur
Accola, Fuhrer: Stilfserjoch-Umbrail 1914-1918, Dokumentation, Miltärakademie an der ETH Zürich, Au, 2000.
Lempruch: Otlerkämpfe 1915-1918, Der König der Deutschen Alpen und seine Helden, Neuauflage, Golowitsch (Hsg), Buchdienst Südtirol, 2005.
Marseiler, Bernhart, Haller: Zeit im Eis – Gletscher geben die Geschichte frei – Die Front am Ortler 1915-1918. Ein prächtiger Bildband mit Aufnahmen des Oberleutnants Franz Haller (1894-1989) vornehmlich zu den Ortlergeschütztransporten. Eingeleitet durch Gedanken seines Sohnes Franz Haller jun. Der zweite Teil des Werks befasst sich mit der Bergung von Funden im Frontgebiet, welche sich auf Grund der intensiven Abschmelzung der Gletschermasse häufen. Athesia, 1996.
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