DER VORABEND DES ERSTEN WELTKRIEGS

Der Vorabend der Urkatastrophe des letzten Jahrhunderts kann kurz und bündig folgendermassen zusammengefasst werden: es gab ein Attentat in Sarajevo, welches Österreich in Aufruhr versetzte, dann versagten Diplomaten und Machthaber während eines Monats und darauf wurden Kriege im Minutentakt erklärt. Das reicht. Wem dies in so geraffter Form genügt, dem wird geraten weit, weit unten auf dieser Seite seine Lektüre fortzusetzten. Die Fakten und Gedankengänge der unterschiedlichen Entscheidträger sind aber spätestens seit 2014 wieder in den Fokus der Historiker gerückt und es ist angebracht, hier den Verlauf dieses schicksalsbeladenen Monats im Sommer 1914 vertieft zu behandeln. Auf diesen Ereignissen basierte letztlich die Schuldfrage am Krieg, verbunden mit allen Restriktionen und Reparationszahlungen.

Aber nochmals zur Einordnung: Wer sich ausschliesslich für den Verlauf des Gebirgskriegs interessiert, kann getrost auf die entsprechende Seite wechseln. Für alle, sich aber für Ursachen des Weltkrieges fundiert orientieren möchte, habe ich die nachfolgenden Inhalte zum Attentat von Sarajevo, zur Julikrise und zum Zusammenfall des europäischen Kartenhauses bereitgestellt.

 

 

INHALTSÜBERSICHT DIESER SEITE

 

DAS ATTENTAT VON SARAJEVO

Von der Planung der Inspektionsreise über bekannte Risiken und Warnungen zu den zwei Anschlägen und den Prozessen gegen die Attentäter bis zur lokalen Rezeption.

 

DIE JULIKRISE

Über die „Mission Hoyos“ und den „Blankoscheck“, die Sommerferien der „Mächtigen“ und sowie die Einschätzung der Ereignisse durch die Grossmächte.

 

DAS KARTENHAUS ZERFÄLLT

Die Chronologie der Kriegserklärungen

 

DAS ATTENTAT VON SARAJEVO AM 28. JUNI 1914 – „DER FUNKE IM PULVERFASS“

Zeitliche Festlegung des Besuchs

Der Erzherzog Franz Ferdinand begab sich von einem Treffen mit dem deutschen Kaiser Wilhelm II. auf seinem Landsitz Schloss Konopischt in Beneschau (Böhmen) nach Sarajevo, um dem Abschluss der Manöver des k.u.k. XV. und XVI. Korps in Bosnien beizuwohnen. Der Besuch wurde auf Bitte des k.u.k. Statthalters von Bosnien-Herzegowina, Feldzeugmeister Oskar Potiorek, auf den 28. Juni festgelegt.

Die Attentäter planten den Anschlag allerdings schon seit März 1914, weil Zeitungen den Besuch Franz Ferdinands ohne genaue Datumsnennung ankündigten. Den Attentätern war es vor allem wichtig, bei dem Besuch Franz Ferdinands ein Attentat auszuüben, wobei die tiefere Bedeutung des 28. Juni wohl nur ein Nebeneffekt war.

WEITERLESEN

Denn an diesem Tag fiel der Veitstag (Vidovdan) mit dem 525. Jahrestag der Schlacht auf dem Amselfeld zusammen – ein symbolisches Datum für viele Serben. Gemäss einem Schreiben des Sekretärs der k.u.k. Gesandtschaft in Belgrad, Ritter von Storck, an den Aussenminister Graf Leopold Berchtold vom 29. Juni 1914 müssen die österreichisch-ungarischen Behörden über das Ausmass der monatelang im Voraus geplanten umfangreichen Veranstaltungen im Königreich Serbien zur 525-Jahr-Feier sehr gut informiert gewesen sein.

Andererseits war der Frühsommer eine übliche Jahreszeit für Manöver, und der Besuch eines Manövers bot sich an, da der Thronfolger bereits seit 1909 als Generalinspektor anstelle des Kaisers derartige Truppenbesuche vornahm. Potiorek wollte das Ansehen der Donaumonarchie, welches seit der Bosnischen Annexionskrise des Jahres 1908 nicht sehr hoch war, mit einem Besuch des Thronfolgers pflegen, wozu eine gezielte Provokation kaum beigetragen hätte. Auch machte der für Bosnien und Herzegowina zuständige Finanzminister Leon Ritter von Biliński zu keiner Zeit Einwendungen gegen den Besuch, weil ihm zufolge der ursprüngliche vom Kaiser genehmigte Plan einen Besuch der Stadt gar nicht vorsah.

Andererseits lässt sich eine eventuelle Provokation durch den nach einem Krieg strebenden Flügel der Regierungskreise in der Donaumonarchie nicht ausschliessen. Biliński erwähnt in seinen Memoiren, dass Potiorek eine tiefe Abneigung gegen Serben gehegt habe, was die Bosnienpolitik Österreich-Ungarns und den Konsens mit den bosnischen Serben massiv behindert hätte. Laut Biliński habe der ursprüngliche und von Kaiser Franz Joseph I. genehmigte Plan nur einen Besuch der Truppenmanöver vorgesehen. Die Entscheidung für einen Besuch der Stadt, und insbesondere die Teilnahme der Herzogin, sei kurzfristig und ohne Bilińskis Mitwirkung getroffen worden. Biliński erwähnt auch, dass sein Ministerium als einziges Amt in Österreich-Ungarn ausdrücklich vom Verteiler für die Besuchspläne des Thronfolgers ausgelassen worden sei, um „die Bemühungen des Landeschefs, einen würdigen Gast zu empfangen, nicht zu behindern“.

Frühere Attentate auf hochstehende Repräsentanten der Doppelmonarchie, wie der Anschlag auf Statthalter Marijan Freiherr Varešanin von Vareš am 15. Juni 1910 in Sarajevo, waren fehlgeschlagen, und vermutlich hätten die Attentäter auch ein anderes, weniger symbolträchtiges Datum wählen können.

„Lediglich in der Interpretation der Nachwelt und vor allem beim Herausarbeiten der besonderen Zielstrebigkeit und Symbolträchtigkeit kam es dann dazu, dass der … 28. Juni, der Vidovdan (Veitstag), der Jahrestag der serbischen Niederlage gegen die Osmanen auf dem Amselfeld 1389, als besondere Provokation hingestellt worden [ist]. Doch auch dabei regierte der Zufall und nicht die langfristige oder gar subtile Planung. Denn als man den Zeitpunkt für die Manöver des XVI. Korps festlegte, waren dabei lediglich die Jahreszeit, der Ausbildungsstand der Truppen und die Übungsannahme ausschlaggebend.“

Gerade in Wien hätte der Vidovdan aber eigentlich hinreichend als „heiliger Tag“ der Serben bekannt sein müssen. Der Besuch in der erst unlängst annektierten Provinz an diesem Tage, sogar wenn er nicht als Provokation gedacht war, konnte deshalb faktisch als besondere Demütigung – oder, im Gegenteil, als eine sich besonders anbietende Gelegenheit für einen Schlag gegen die Fremdherrschaft – aufgefasst werden.

Noch am Tag zuvor sendete Sophie von Hohenberg ein Telegramm an eine Freundin, in dem sie ihr Wohlbefinden ausdrückt. Es ist heute im Diözesanarchiv zu Bautzen archiviert.

Reiseroute Franz Ferdinand
Die Reiseroute Franz Ferdinands und Sophie von Hohenberg im Juni 1914. Abb. aus Gerbert, Frank, Endstation Sarajevo, 2014.
Armee Inspektor FZM Oskar Potiorek 1914 Pietzner
Oskar Potiorek (*  1853 in Bleiberg, Kärnten; † 1933 in Klagenfurt) war Landeschef von Bosnien und der Herzegowina und bei Beginn des Ersten Weltkriegs Oberkommandierender der Balkanstreitkräfte der Doppelmonarchie.

Warnungen

Bereits früher war es in Sarajevo zu Attentaten gekommen. Der Student Bogdan Žerajić hatte 1910 ein Attentat auf Kaiser Franz Joseph geplant, aufgrund des hohen Alters des Monarchen jedoch davon Abstand genommen. Stattdessen schoss er am 15. Juni 1910 bei der Eröffnung des bosnisch-herzegowinischen Landtags auf den bosnischen Gouverneur, General Marijan Freiherr Varešanin von Vareš, verfehlte ihn aber, woraufhin er sich mit einem Kopfschuss tötete. Žerajić wurde zum Vorbild für Princip: Dieser soll bei Žerajićs Grab feierlich geschworen haben, ihn zu rächen.

WEITERLESEN

Auch nach vagen Vorwarnungen liess sich Erzherzog Franz Ferdinand nicht von der Fahrt nach Sarajevo abhalten. „Unter einen Glassturz“, hatte er bei einer anderen Gelegenheit gesagt, „lasse ich mich nicht stellen. In Lebensgefahr sind wir immer. Man muss nur auf Gott vertrauen.“ Da niemand mit Gefahr rechnete, fielen die Sicherheitsvorkehrungen entsprechend gering aus. Der Zeitplan und die Fahrtroute wurden Wochen vor dem Besuch in den Zeitungen öffentlich bekanntgegeben, wahrscheinlich auch, um möglichst viele jubelnde Zuschauer anzulocken. Es wurden so gut wie vor jedem Besuch Warnungen ausgesprochen, nicht nur in Bezug auf Bosnien. Keiner der Warner war allerdings so deutlich geworden, dass daraus wirklich das Ausmass der Gefahr hätte abgeleitet werden können.

Als der serbische Regierungschef Nikola Pašić vorab, wahrscheinlich von seinem Spion in der „Schwarzen Hand“ Milan Ciganović, vom Mordplan erfuhr, befand er sich in einem Dilemma. Wenn er den Plan zur Ausführung gelangen liess, riskierte er wegen der Verbindung zur Geheimorganisation „Ujedinjenje ili Smrt“ („Vereinigung oder Tod“ oder auch „Schwarze Hand“) einen Krieg mit Österreich-Ungarn; wenn er den Plan verriet, riskierte er, von seinen Landsleuten als Verräter hingestellt zu werden. So betraute er Jovan Jovanović, den serbischen Gesandten in Wien, mit der Aufgabe, Österreich-Ungarn mit vagen diplomatischen Aussagen vor dem Anschlag zu warnen. Jovanović, der als Nationalist galt und in Wien selten herzlich empfangen wurde, vertraute dem als offen und umgänglich bekannten k. u. k. Finanzminister von Biliński in einem Gespräch an, es wäre gut und vernünftig, wenn Franz Ferdinand nicht nach Sarajevo reiste, weil sonst „irgendein junger Serbe statt einer Platzpatrone eine scharfe Kugel nehmen und sie abschiessen könnte“. Biliński erwiderte lachend, „lassen Sie uns hoffen, dass sowas niemals passiert“ und behielt den Inhalt des Gesprächs für sich. Laut Christopher Clark wurde eine gewisse Warnung ausgesprochen, aber keine, die der Situation angemessen wäre.

Vorbereitungen für den Anschlag

Dragutin T. Dimitrijević, genannt Apis, Chef des serbischen militärischen Geheimdienst, war der wichtigste Kopf hinter der Verschwörung zur Ermordung Erzherzog Franz Ferdinands, aber die Idee stammt vermutlich von seinem Kameraden Rade Malobabić. Im Rahmen dieser Verschwörung rekrutierte der ehemalige Freischärler Voja Tankosić den Kern des nach Bosnien geschickten Kommandos, die drei Mitglieder der proserbischen bosnischen Jugendorganisation Mlada Bosna (Junges Bosnien): Gavrilo Princip ein 19-jähriger Gymnasiast, Nedeljko Čabrinović, ein 19-jähriger Druckergeselle, und Trifun „Trifko“ Grabež, ein 18-jähriger Schulabbrecher. Die serbische Regierung insgesamt hatte das Attentat nicht befohlen, noch war sie beteiligt. Jedoch wussten der serbische Ministerpräsident sowie mehrere Minister und Militärs von einzelnen Vorgängen der Verschwörung.

WEITERLESEN

Sobald die Planung des Attentats ernsthaft begonnen hatte, wurde sorgfältig darauf geachtet, dass keine offensichtlichen Verbindungen zwischen der Zelle und den Behörden in Belgrad bestand. Führungsoffizier der Attentäter war Milan Ciganović, welcher Tankosić bzw. dieser Apis unterstand. Alle Befehle wurden nur mündlich weitergegeben. Das stillschweigende Einverständnis zwischen dem serbischen Staat und den an der Verschwörung beteiligten Netzwerken war bewusst geheimer und informeller Natur.

Gavrilo Princip selbst fasste im Frühling 1914 in Belgrad am Grab von Bogdan Žerajić den Entschluss, Franz Ferdinand zu töten, nachdem er in einer österreichischen Zeitung einen Bericht über dessen angekündigten Besuch gelesen hatte. Nach anderen Darstellungen sei der wahre Urheber der Idee Nedeljko Čabrinović gewesen, der von einem Freund, dem Journalisten Mihajlo Pušara, mit einem Zeitungsausschnitt auf den bevorstehenden Besuch aufmerksam gemacht worden war. Damals war der Besuch wegen einer ernsten Krankheit des Kaisers Franz Joseph noch ungewiss.

Die Attentäter betrachteten einige Persönlichkeiten als lohnendes Ziel: den österreichischen Kaiser, Aussenminister Berchtold, Finanzminister Biliński, Feldzeugmeister Potiorek, den Banus von Kroatien Ivan Skerlecz, den Gouverneur von Dalmatien Slavko Cuvaj und natürlich Franz Ferdinand. Princip teilte Čabrinović und Grabež seine Absichten mit und sicherte sich ihre Unterstützung. Da sich Princip nicht in der Lage sah, den Plan ohne fremde Hilfe in die Tat umzusetzen, kontaktierte er Milan Ciganović, einen serbischen Geheimdienstler und bekannten Volkshelden, der als Eisenbahnbeamter arbeitete und im selben Haus wohnte. Ciganović stand mit Major Vojin P. Tankošić in Verbindung, den Princip von seinem erfolglosen Versuch aus dem Jahr 1912, als Freiwilliger an den Balkankriegen teilzunehmen, schon kannte. Princip wusste nicht, dass Ciganović und Tankošić führende Mitglieder der „Schwarzen Hand“ waren und auch war Princip, der offenbar selbst an ein lokales Projekt dachte, über die Hintergründe der Verschwörung nicht informiert.

Ciganović gab den militärisch unerfahrenen Jugendlichen im Belgrader Park Topčider Schiessunterricht, wobei Princip der beste Schütze war, und übergab ihnen am 27. Mai 1914 vier Pistolen mit Munition und sechs Bomben aus serbischen Armeebeständen. Die Herkunft der Waffen konnte nie restlos geklärt werden, weil viele serbische Milizangehörige solche Waffen besassen. Weiter bekamen sie etwas Geld für die Reisekosten und Zyankali-Fläschchen, um sich nach dem Attentat zu töten.

Die drei Attentäter reisten einen Monat vor dem Anschlag über Tuzla nach Sarajevo. Ciganović half ihnen, unter Mitwirkung von Miško Jovanović, die Waffen unbemerkt über die bosnische Grenze zu bringen. In Tuzla schloss sich ihnen als viertes Mitglied Danilo Ilić, ein 23-jähriger Lehrer, an. Ilić warb drei weitere Mitglieder von Mlada Bosna an, die zwei Gymnasiasten Vaso Čubrilović (17-jährig) und Cvetko Popović (18-jährig) sowie Muhamed Mehmedbašić, einen 27-jährigen muslimischen Serben, der von Beruf Schreiner war. Der eigentliche Sinn dieser zweiten Sarajevoer Zelle war, die Spuren der Verschwörung zu verwischen.

An der Verschwörung waren auch andere Mitglieder von Mlada Bosna beteiligt, die nicht unmittelbar oder bewaffnet in Erscheinung traten: Veljko Čubrilović, Vasos Bruder und Lehrer aus Priboj, Miško Jovanović, Kaufmann und Bankdirektor aus Tuzla, Mladen Stojaković, Arzt und später Volksheld im Zweiten Weltkrieg, sein Bruder Sreten, Bildhauer; Jezdimir Dangić, Gendarmerie-Oberstleutnant und später Tschetnik-Wojwode, Mitar Kerović und sein Sohn Neđa, und schliesslich Jakov Milović, ein Landwirt aus Ostbosnien.

Einige aus der Gruppe der Attentäter zogen sich im letzten Moment zurück, weil Mord ungeeignet sei, Protestverhalten zu zeigen. Doch die jüngeren Attentäter wollten die Sache durchziehen.

Mehmedbašić und Čabrinović sollten als erste handeln und nahmen bei der Ćumurija-Brücke Aufstellung, während sich die anderen fünf Attentäter als Reserve, bis hin zur Kaiser-Brücke, postierten. Ilić pendelte unbewaffnet zwischen den Attentäter-Gruppen.

Erster Anschlag

Das Thronfolger-Ehepaar residierte während des Besuches in Ilidža, einem Badeort etwa 12 Kilometer westlich von Sarajevo. Am 28. Juni 1914 reisten sie mit dem Zug von Ilidža bis zur Westgrenze der Stadt, wo eine Tabakfabrik stand, die ein häufiger Ausgangspunkt für Sarajevo-Besuche österreichisch-ungarischer Würdenträger war. Laut Biliński, der seine Erinnerungen auf einen Bericht des erzherzöglichen Marschalls Oberst Graf Rummerskirch an Kriegsminister Alexander Ritter von Krobatin stützt, seien die Sicherheitsvorkehrungen besonders gering gewesen, was in Kontrast zu den vergleichsweise strengen Vorkehrungen beim Besuch Franz Josephs I. in Sarajevo 1910 gestanden habe. Die Polizisten und Geheimpolizisten, die der Kolonne hätten vorausfahren sollen, seien für diesen Zweck weder mit Wagen noch Kutschen ausgestattet worden und seien daher, mit Schmucktruhen der Herzogin schwer beladen, bei der Tabakfabrik zurückgeblieben.

WEITERLESEN

Laut Biliński wurde die Ankunft Franz Ferdinands in Sarajevo auf die Minute genau angekündigt, was die Ausführung des Attentats erleichterte. Vor der Abfahrt habe der Polizeihauptmann Gerde, ein Ungar, dem Landeschef Potiorek mitgeteilt, dass er mit einer Anzahl von 30 bis 40 Polizisten nicht in der Lage sei, für die Sicherheit der Fahrgäste auf der langen Strecke von der Tabakfabrik bis zum Rathaus zu sorgen, und deshalb Unterstützung durch Militäreinheiten benötige. Potiorek habe entgegnet, weil in der Stadt aufgrund der Manöver kein Militär stationiert sei, könne es nicht rechtzeitig eintreffen. Daraufhin habe der Gendarmeriechef Bosniens, General Šnjarić, vorgeschlagen, einen Gendarmeriekordon entlang der Fahrtstrecke aufzustellen, doch Potiorek habe auch diesen Vorschlag abgelehnt.

Franz Ferdinand und seine Frau fuhren in einer Kolonne aus sechs Autos auf dem Appel-Kai entlang des Miljacka-Flusses zum Rathaus von Sarajevo. Im ersten Fahrzeug sassen der Bürgermeister, Efendi Fehim Čurčić, und der Polizeichef Dr. Gerde. Im zweiten Fahrzeug sassen Franz Ferdinand und seine Gemahlin Sophie, ihnen gegenüber Landeschef Potiorek. Vorne sassen der Chauffeur Leopold Lojka und Franz Graf Harrach, der Besitzer des Wagens. Im dritten Fahrzeug sassen Sophies Kammerfrau, Alexander Graf von Boos zu Waldeck und der Flügeladjutant des Landeschefs, Oberstleutnant Merizzi, der den Wagen fuhr. Im vierten und fünften Fahrzeug sassen unter anderem Baron Morsey, Oberst Bardolff, der Leiter der erzherzoglichen Militärkanzlei, Hofmarschall Rummerskirch und bosnische Beamte wie der Regierungsrat Starch. Das sechste Fahrzeug war leer und wurde als Reserve mitgeführt.

Gegen zehn Uhr fuhr die Kolonne an Mehmedbašić vorbei, der eine Bombe werfen sollte, aber nichts unternahm. Er erklärte seine Untätigkeit später damit, dass er von Ilić die Anweisung bekommen habe, die Bombe nur dann zu werfen, wenn er den Wagen des Thronfolgers erkenne. Dies sei ihm aber nicht gelungen. Der nächste Attentäter auf der Route, Čabrinović, erkundigte sich bei einem Polizisten, in welchem Fahrzeug der Erzherzog sässe. Daraufhin schlug er die Sicherung seiner Bombe an einem Laternenmast ab und warf sie in Richtung des Wagens. Der Fahrer bemerkte das herbeifliegende dunkle Objekt und gab Gas, während Franz Ferdinand den Arm hob, um seine Frau zu schützen. Die Bombe prallte von Franz Ferdinands Arm ab, fiel über das zurückgelegte Verdeck des Wagens nach hinten und explodierte kurz vor dem dritten Automobil, wobei Oberstleutnant Merizzi und Graf Boos-Waldeck verletzt wurden, ausserdem noch ein halbes Dutzend Schaulustiger.

Čabrinović schluckte das von der Schwarzen Hand zur Verfügung gestellte Zyankali und sprang in die Miljacka. Das Gift war jedoch alt und wirkte nicht, so dass er nur erbrach. Ausserdem war der Fluss an der betreffenden Stelle nicht sehr tief. Čabrinović wurde von der Menge gefasst, wobei er fast gelyncht worden wäre, und verhaftet. Angesichts dessen tauchte der Attentäter Gavrilo Princip nun in der Menge unter, setzte sich in ein Kaffeehaus und erwog, Selbstmord zu begehen, um einer Verhaftung zu entgehen.

Nachdem Oberstleutnant Merizzi nach ersten Informationen nur leicht verletzt war und in das Garnisonsspital gebracht worden war, befahl Franz Ferdinand, dass die Fahrt fortgesetzt werde. Auf dem Weg zum Rathaus fuhr die Kolonne an den anderen Attentätern vorbei, die aber nichts unternahmen. Vaso Čubrilović sagte später aus, dass er nicht geschossen habe, weil ihm die Herzogin leid getan hätte, Cvetko Popović sagte aus, dass er Angst gehabt habe und in diesem Augenblick nicht gewusst habe, was mit ihm geschehe.

Im Rathaus angekommen, setzte der Bürgermeister vor vielen lokalen Würdenträgern zu einer vorbereiteten Begrüssungsrede an, wurde jedoch sofort von Franz Ferdinand unterbrochen: „Herr Bürgermeister, da kommt man nach Sarajevo, um einen Besuch zu machen, und wird mit Bomben beworfen! Das ist empörend.“ Er konnte sich aber schliesslich beruhigen. Nach seinem Besuch im Rathaus verfügte er eine Änderung der Route. Er wollte nicht wie geplant direkt zum Museum fahren (in dem auch der serbische Historiker Ćorović auf seine Ankunft wartete), sondern auch den beim Anschlag Čabrinovićs am Hals verletzten Merizzi im Krankenhaus besuchen.

Ungünstigerweise lag das Krankenhaus am anderen Ende der Stadt. Laut Biliński habe Rummerskirch berichtet, dass Franz Ferdinand, in Sorge um seine Gattin, nach dem Aufenthalt im Rathaus Potiorek und Gerde konsultiert haben soll, ob es angesichts des Bombenanschlags vernünftig sei, dorthin zu fahren. Die Alternative war, auf einer anderen Strasse nach Ilidža zurückzufahren oder geradeaus zum Konak, der vom Rathaus wenige Fahrminuten entfernt war. Während Gerde zögerte, soll Potiorek ausgerufen haben: „Eure Kaiserliche Hoheit können ruhig weiterfahren, ich übernehme dafür die Verantwortung“.

 

Zweiter Anschlag

Entgegen den Anweisungen bog die Wagenkolonne auf Höhe der über die Miljacka führenden Lateinerbrücke aber in die ursprünglich geplante Route ein. Lojka, der nicht hinreichend über die neue Route orientiert war, legte den Rückwärtsgang ein, um zurück auf den Kai zu gelangen; dabei stand das Fahrzeug einige Sekunden still. Zu seiner grossen Überraschung sah Princip, wie der Wagen mit dem Erzherzog vor dem Café anhielt, in dem er sich aufhielt; er stand auf, eilte auf die Strasse, zog seine Pistole und schoss aus wenigen Metern Entfernung zwei Mal auf das Ziel.

WEITERLESEN

Das erste Projektil durchschlug die Fahrzeugwand, wobei sich das Geschoss verformte, scharfkantig wurde und sich zu drehen begann. Danach traf es Sophie in den Unterleib und fügte ihr dort eine Reihe von Verletzungen zu, an denen sie innerhalb kürzester Zeit, noch im Wagen selbst, innerlich verblutete. Als Franz Ferdinand merkte, dass seine Frau getroffen worden war, schrie er: „Sopherl! Sopherl! Stirb nicht! Bleib‘ am Leben für unsere Kinder!“. Unmittelbar danach fiel der zweite Schuss, welcher Franz Ferdinand in den Hals traf, seine Halsvene zerriss und seine Luftröhre verletzte. Der vor ihm sitzende Graf Harrach drehte sich um, packte den Thronfolger an der Schulter und rief: „Majestät, was ist Euch?“, woraufhin Franz Ferdinand erwiderte: „Es ist nichts…“ und einen Moment später das Bewusstsein verlor. Der Thronfolger blutete nun nicht aus der Einschusswunde selbst, sondern vor allem durch die verletzte Luftröhre, die wiederum von der verletzten Halsvene gespeist wurde. Das ist auch der Grund, weshalb die Uniform des Thronfolgers vorne grossflächige Blutspuren aufweist.

Sofort schluckte Princip sein Zyankali, erbrach es aber, woraufhin er sich mit der Pistole zu erschiessen versuchte. Die Pistole wurde ihm jedoch aus der Hand gerissen und die wütende Menge wollte ihn lynchen. Während Princip sofort von Gendarmen verhaftet, mit Säbelknäufen geschlagen und abgeführt wurde, drehte der Fahrer um und fuhr schnell zu Potioreks Residenz, dem Konak. Dort bemühten sich schnell herangeholte Ersthelfer hektisch, das Leben des Thronfolgers zu retten, schnitten an mehreren Stellen seine Uniform auf in dem verzweifelten Bemühen, den Blutstrom zu stillen, was jedoch nicht gelang. Franz Ferdinand erlag kurz darauf im Konak seinen Verletzungen.

Princip sagte später aus, dass er Sophie gar nicht habe treffen wollen, die Schüsse hätten Franz Ferdinand und Potiorek gegolten.

Edition Winkler Hermaden Sarajevo Lateinerbrücke 10
Die Lateinerbrücke in Sarajevo, Ort des Attentats auf einer Postkarte mit dem Hinweis auf den Standort Princips.
2014 25princip
Gavrilo Princip (* Juli 1894 in Obljaj, Vilâyet Bosnien; † April 1918 in Theresienstadt, Böhmen, Österreich-Ungarn, heute Tschechien) .Princip war Mitglied der Mlada Bosna (Junges Bosnien), eines revolutionären, nationalistischen Geheimbunds aus Schülern und Studenten, der im von Österreich-Ungarn 1908 annektierten Bosnien-Herzegowina aktiv war. In Jugoslawien und Serbien galt bzw. gilt er teilweise noch als Volksheld.

Reaktionen auf das Attentat

Der Tod des Thronfolgers löste in Österreich-Ungarn keine allgemeine Trauer aus. Der Gesandte in Bukarest und spätere Aussenminister Ottokar Graf Czernin erinnerte sich später, in Wien und Budapest habe es mehr Erfreute als Trauernde gegeben. Franz Ferdinand und seine Vertrauten, die in konservativen Wiener Kreisen vielfach als „Belvedere-Bagage“ bezeichnet wurden, hatten nicht nur dort Feinde. Seine Pläne einer trialistischen Reichsverfassung unter besonderer Berücksichtigung der Kroaten stiessen insbesondere im ungarischen Reichsteil auf kategorische Ablehnung.

Auf die politischen Reaktionen wird im Abschnitt „Die Julikrise“ eingegangen.

 

Prozess gegen die Attentäter

Čabrinović, Princip und die anderen Attentäter mit Ausnahme von Mehmedbašić wurden nach und nach festgenommen. Während der Verhöre schwiegen sie zunächst beharrlich, bis sie auf Wunsch von Princip aufgaben und alles gestanden, woraufhin auch die meisten anderen Verschwörer verhaftet wurden.

Vom 12. Oktober bis 23. Oktober 1914 fand in Sarajevo der Gerichtsprozess gegen insgesamt 25 Angeklagte wegen Hochverrates und Meuchelmordes statt. Im Prozess bestritten alle Angeklagten jede Verbindung mit dem offiziellen Serbien. Drei von ihnen wurden hingerichtet.

Nedeljko Čabrinović

Nedeljko Čabrinović gab als Grund für seine Tat an, dass Franz Ferdinand ein Feind der Slawen und besonders der Serben gewesen sei. Er sagte weiter aus, dass in Österreich-Ungarn die Deutschen und die Ungarn das Sagen hätten, während die Slawen unterdrückt würden. Da er zum Tatzeitpunkt minderjährig war, wurde er vom Gericht zu 20 Jahren schwerem Kerker in der Kleinen Festung Theresienstadt, verschärft durch einen monatlichen Fasttag und am 28. Juni eines jeden Jahres durch hartes Lager und Dunkelarrest, verurteilt und starb am 23. Januar 1916 an Tuberkulose. Franz Werfel, der Čabrinović Ende 1915 in Theresienstadt besuchte, bezeichnete den Todkranken als den „auserwählten Schicksalsmenschen“.

WEITERLESEN

Vaso Čubrilović

Vaso Čubrilović bezeichnete sich vor Gericht als „Serbokroate“ und gab an, dass sein Ziel die Vereinigung von Serben, Kroaten, Slowenen und Bulgaren in einem Staate sei. Er wurde zu 16 Jahren schwerem Kerker verurteilt, verschärft wie bei Čabrinović. Auch er war zum Tatzeitpunkt minderjährig und konnte daher nicht zum Tode verurteilt werden. Nach dem Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie kam er frei. Er studierte Geschichte und arbeitete später als Lehrer und Universitätsprofessor und wurde unter Josip Broz Tito Minister für Forstwirtschaft.

Veljko Čubrilović

Veljko Čubrilović, Vasos Bruder, wurde der Beihilfe zum Mord für schuldig befunden und am 2. Februar 1915 in der Kaserne „Philippovich-Lager“ in Sarajevo gemeinsam mit Miško Jovanović und Danilo Ilić durch Erhängen am Würgegalgen hingerichtet.

Trifun „Trifko“ Grabež

Trifun „Trifko“ Grabež nannte die Tat „den grössten revolutionären Akt in der Geschichte“. Er wurde vom Gericht zu 20 Jahren schwerem Kerker in der Kleinen Festung Theresienstadt, verschärft wie bei Čabrinović, verurteilt. Auch er war zu jung für ein Todesurteil. Er starb 1918 an Tuberkulose.

Danilo Ilić

Danilo Ilić wurde vom Gericht für schuldig befunden und zum Tode verurteilt, er war zum Tatzeitpunkt volljährig. Er wurde schliesslich am 2. Februar 1915 in der Kaserne „Philippovich-Lager“ in Sarajevo gemeinsam mit Miško Jovanović und Veljko Čubrilović durch Erhängen am Würgegalgen hingerichtet.

Miško Jovanović

Um bei einer eventuellen Kontrolle auf dem Weg nach Sarajevo nicht aufzufallen, hatte Princip Jovanović die Waffen, die beim Anschlag benutzt werden sollten, zuvor in Tuzla übergeben und sie in Sarajevo zurückerhalten. Jovanović wurde vom Gericht der Beihilfe zum Mord für schuldig befunden und am 2. Februar 1915 in der Kaserne „Philippovich-Lager“ in Sarajevo gemeinsam mit Danilo Ilić und Veljko Čubrilović durch Erhängen am Würgegalgen hingerichtet.

Ivo Kranjčević

Ivo Kranjčević, ein Kroate, der nach dem Attentat Čubrilovićs Waffen versteckt hatte, wurde zu 10 Jahren schwerem Kerker verurteilt, verschärft wie bei Čabrinović.

Muhamed Mehmedbašić

Muhamed Mehmedbašić wurde als einziger Beteiligter nicht verhaftet und setzte sich nach Montenegro ab, wo er mit seiner Teilnahme am Attentat öffentlich prahlte, so dass ihn die Montenegriner schliesslich verhaften mussten. Österreich-Ungarn verlangte seine Auslieferung, was Montenegro in einen unangenehmen Zwiespalt brachte, weil es die eigene, serbische Bevölkerung nicht gegen sich aufbringen wollte. Wie durch Zufall konnte Mehmedbašić jedoch aus dem Gefängnis ausbrechen und untertauchen, worauf er sich zunächst unauffällig verhielt. 1917 wurde er gemeinsam mit Dragutin Dimitrijević Apis, dem Anführer der Schwarzen Hand, wegen eines Mordkomplotts gegen den serbischen Prinzregenten Aleksandar Karađorđević verhaftet und zu 15 Jahren Haft verurteilt. Er wurde schliesslich 1919 amnestiert und kehrte nach Sarajevo zurück, wo er ein bescheidenes Leben als Gärtner und Tischler führte. Er starb während des Zweiten Weltkriegs.

Cvetko Popović

Cvetko Popović wurde wegen Hochverrates zu 13 Jahren Haft verurteilt und kam nach dem Zerfall der k. u. k. Donaumonarchie frei. Auch er war zum Tatzeitpunkt minderjährig. Er wurde später Kustos in der Ethnografischen Abteilung des Museums von Sarajevo.

Gavrilo Princip

Gavrilo Princip sagte aus, dass er die Tat nicht bereue und sich auch nicht als Verbrecher betrachte, er habe bloss einen Tyrannen ermordet. Er sagte, dass er ein Serbe und Revolutionär sei, Österreich-Ungarn hasse und dessen Untergang wünsche. Niemand habe ihn zur Tat angestiftet, er bestritt jede offizielle Verbindung zu Serbien. Zur Bekräftigung behauptete er, dass ihn Ciganović gewarnt habe, dass die serbischen Behörden sie verhaften würden, wenn sie von ihrem Plan erführen. Er sagte auch, dass es ihm leid täte, die Frau des Erzherzoges, eine Tschechin, getötet zu haben und dass jener Schuss für Potiorek bestimmt gewesen sei.

Princip wurde vom Gericht des Hochverrates und Meuchelmordes für schuldig befunden und zu 20 Jahren schwerem Kerker verurteilt, verschärft wie bei Čabrinović. Für das Urteil war sein junges Alter zum Tatzeitpunkt entscheidend, das ihn vor der Todesstrafe bewahrte. Er starb schliesslich 1918 im Gefängnislazarett der Kleinen Festung in Theresienstadt an Knochentuberkulose.

Lokale Rezeption

Am 28. Juni 1917, anlässlich des dritten Jahrestages der Ermordung, liess Österreich-Ungarn am Geländer der Lateinerbrücke, die diesen Namen trägt, weil sie die kürzeste Verbindung zur römisch-katholischen Kathedrale ist, ein zwölf Meter hohes Denkmal zu Ehren Franz Ferdinands und Sophies errichten, auf welchem die Passanten um ein kurzes Gebet für die Opfer des Anschlags gebeten wurden. Das Monument bestand aus zwei Säulen, einer grossen Platte mit den Figuren des ermordeten Ehepaares sowie einer Nische für Trauerkerzen und Blumen. Ende 1918 liess das Königreich Jugoslawien das Monument abbauen und in einem Museumsdepot verstauen; der Altar des Denkmals wurde 1919 gesprengt. Während die Säulen für andere Zwecke wiederverwendet wurden, befindet sich die Platte mit den Figuren des Thronfolger-Ehepaares heute in der Kunstgalerie Bosniens und Herzegowinas. An der Anschlagsstätte stehen Reste einer Betonbank, die ein integraler Bestandteil des Monuments war. Bosnien-Herzegowina trägt sich mit dem Gedanken, das Denkmal zu erneuern.

WEITERLESEN

Nach dem Ersten Weltkrieg errichtete das Königreich Jugoslawien am Ort des Anschlages eine granitene Gedenktafel zu Ehren Princips, die am 2. Februar 1930 eingeweiht wurde. In serbo-kroatischer Sprache und kyrillischen Schriftzeichen stand die Aufschrift Na ovom istorijskom mestu Gavrilo Princip navijesti slobodu na Vidovdan 15/28 1914. godine (deutsch. An diesem historischen Platz hat Gavrilo Princip die Freiheit am Vidovdan 15/28 1914 gebracht). Die Tafel wurde anlässlich des 15 Jährigen Todestages der Attentäter Danila Ilića, Miška Jovanović und Veljka Čubrilović eingeweiht und befand sich bis zur Entfernung am 17. April 1941 auf einen persönlichen Wunsch Adolf Hitlers, als Volksdeutsche die Tafel an die einmaschierenden Soldaten der Wehrmacht übergaben, am Ort des Sarajewer Attentates.

Nach dem Überfall der Wehrmacht auf Jugoslawien am 6. April 1941 und der Einnahme Sarajevos am 17. April 1941 hatte Hitler den Wunsch geäussert, die Platte als das für ihn einzig relevante Kriegssouvenir im besetzten Jugoslawien anlässlich seines 52. Geburtstages am 20. April 1941 in der Befehlsstelle des Balkankrieges, das Führerhauptquartier „Frühlingssturm“ im sogenannten Führersonderzug Amerika, unter Beisein der angereisten Wehrmachts- und NS-Parteiprominenz wie Wilhelm Keitel, Walther von Brauchitsch und Hermann Göring zu überreichen. Der Zug, der während der Balkanoffensive vor dem 2.500 Meter langen Grossen Hartbergtunnel gelegenen Bahnhof bei Mönichkirchen positioniert war, stand fünfzig Kilometer vor der jugoslawischen Grenze entfernt. Die Zeremonie der Überreichung wurde von Hitlers persönlichen Fotografen Heinrich Hoffmann am 20. April 1941 festgehalten. Hoffmanns Fotografie wurde von Muharem Bazdulj im Fundus der Bayerischen Staatsbibliothek München für das Wochenmagazin Vreme ausfindig gemacht. Mit ihrer Veröffentlichung am 31. Oktober 2013 wurde diese als Sensationsfund gewertet. Adolf Hitler ist dabei im Salon des Zuges beim Betrachten der Gedenktafel Gavrilo Princips abgebildet.

Einen Tag nach dem 6. Mai 1945, an dem Sarajevo durch die Tito-Partisanen befreit wurde, konnte am 7. Mai eine neue Gedenktafel an Stelle der ins Zeughaus Berlin verbrachten wiederangebracht werden. Auf dieser befand sich eine goldene Aufschrift, in der durch den noch immer andauernden Befreiungskrieg eine Konnotation zum Partisanenkrieg gebildet wurde: U znak vječite zahvalnosti Gavrilu Principu i njegovim drugovima borcima protiv germanskih osvajača, posvećuje ovu ploču omladina Bosne i Hercegovine Sarajevo 7. maja 1945. godine (deutsch: Im Zeichen der ewigen Dankbarkeit an Gavrilo Princip und seinen kämpfenden Freunden gegen die germanischen Eroberer, stiftet diese Tafel die Jugend von Bosnien und Herzegowina – Sarajevo 7. Mai 1945). Am 28. Juni 1952 wurde diese wiederum durch eine neue Tafel mit veränderter Botschaft ersetzt, diesmal wieder mit einer in kyrillischer Schrift verfassten Aufschrift, die auf den Freiheitswunsch der Völker Jugoslawien bezug nimmt: Sa ovoga mjesta 28. juna 1914. godine Gavrilo Princip svojim pucnjem izrazi narodni protest protiv tiranije i vjekovnu težnju naših naroda za slobodom (deutsch: Von diesem Platz hatte am 28. Juni 1914 Gavrilo Princip mit seinen Schüssen den Volksprotest gegen die Tyrannei und das Jahrhunderte währende Streben unserer Völker nach der Freiheit ausgedrückt). Diese Platte wurde während des Bosnienkrieges 1992 zerstört.

In Titos Jugoslawien wurden Princip und die Mlada-Bosna-Bewegung als „junge Kämpfer für die Freiheit und Unabhängigkeit der jugoslawischen Völker“ verehrt und mit einem kleinen Museum in Sarajevo bedacht. Bosnische Kommunisten beschlossen am 7. Mai 1945 in der ersten Sitzung des USAOBiH („Vereinigte Allianz der Antifaschistischen Jugend Bosnien-Herzegowinas“), „als Zeichen ewiger Dankbarkeit gegen Gavrilo Princip und seine Kameraden, Kämpfern gegen die germanischen Eroberer“ eine neue Gedenktafel zu errichten. Die Lateinerbrücke wurde in Gavrilo-Princip-Brücke umbenannt. An der Stelle, an der Princip während des Attentates gestanden haben soll, errichtete man eine Steinplatte mit Fussabdrücken, die während des Bosnienkrieges in den 1990er Jahren zerstört wurde. 1977 wurde eine Gedenktafel errichtet, die Princip als Nationalhelden darstellt.

Nach dem Bosnienkrieg in den 1990er Jahren wurde die Princip-Brücke wieder in Lateinerbrücke umbenannt. Am Ort des Attentates befindet sich heute eine Gedenktafel mit einer neutralen Inschrift in bosnischer und englischer Sprache.

DIE JULIKRISE

Die Julikrise war die Zuspitzung der Konfliktlage zwischen den fünf europäischen Grossmächten sowie Serbien, die auf die Ermordung des österreichischen Thronfolgers folgte und die zum Ersten Weltkrieg führte. Bis heute werden die Motive und Handlungsweisen aller beteiligten Mächte, Politiker und Diplomaten sowohl in der Öffentlichkeit als auch unter Historikern kontrovers diskutiert. Die jeweilige Antwort auf die Kriegsschuldfrage hängt entscheidend davon ab, wie die Ereignisse während der Julikrise bewertet werden.

Das „Sarajevo-Ereignis“ bewegte Diplomaten und Regierungsmitglieder an allen europäischen Höfen. In wieweit deren formelle Regierungsoberhäupter, also die Kaiser und Könige in die Entscheidfindung eingebunden wurden ist bis heute ein Streitpunkt unter Historikern.

Erzherzog Franz Ferdinand und seine Frau Sophie wurden am 28. Juni 1914 bei einem offiziellen Besuch in der bosnischen Hauptstadt Sarajewo von dem Schüler Gavrilo Princip erschossen. Princip war Mitglied der nationalistischen Jugendbewegung Mlada Bosna. Er und seine Mitverschwörer konnten schnell gefasst werden.

In Wien wurden die Auftraggeber des Doppelmords jedoch in Belgrad vermutet:

„Es erhellt aus den Aussagen und Geständnissen der verbrecherischen Urheber des Attentates vom 28. Juni, dass der Mord von Sarajevo in Belgrad ausgeheckt wurde, dass die Mörder die Waffen und Bomben, mit denen sie ausgestattet waren, von serbischen Offizieren und Beamten erhielten, die der Narodna Odbrana angehörten, und dass schliesslich die Beförderung der Verbrecher und deren Waffen nach Bosnien von leitenden serbischen Grenzorganen veranstaltet und durchgeführt wurde.“

WEITERLESEN

Es konnten auch zwei Namen ermittelt werden: der des serbischen Offiziers Vojislav Tankositsch, der bereits an der Ermordung des serbischen Königs Aleksandar Obrenović beteiligt gewesen war, und der eines bei der serbischen Reichsbahn beschäftigten Bosniers namens Milan Ciganović. Von diesem vermutet der australische Historiker Christopher Clark, dass er ein V-Mann des serbischen Ministerpräsidenten Nikola Pašić innerhalb der konspirativen serbischen Offiziersorganisation Schwarze Hand war. Von der Existenz und Beteiligung der Schwarzen Hand wusste man 1914 allerdings noch nichts. Stattdessen sah man die Narodna Odbrana als Drahtzieher des Attentats. Klarheit bestand jedoch über das Motiv der Attentäter und ihrer etwaigen Hintermänner: Sie wollten Österreich-Ungarn schwächen und so langfristig einen Anschluss von Bosnien und Herzegowina an Serbien erreichen.

 

Der serbischen Regierung wurde eine moralische Mitschuld gegeben, da sie Organisationen wie die Nardodna Odbrana gewähren liess. Zu konkreten Verwicklungen allerdings schrieb der leitende Ermittler in Sarajewo, Sektionsrat Friedrich Wiesner, in seinem Bericht vom 13. Juli 1914 an das k.u.k. Aussenministerium:

„Mitwissenschaft serbischer Regierung an der Leitung des Attentats oder dessen Vorbereitung und Beistellung der Waffen durch nichts erwiesen oder auch nur zu vermuten. Es bestehen vielmehr Anhaltspunkte, dies als ausgeschlossen anzusehen. Durch Aussagen Beschuldigter kaum anfechtbar festgestellt, dass Attentat in Belgrad beschlossen und unter Mitwirkung serbischen Staatsbeamten Ciganović‘ und Major Tankošic‘ vorbereitet, von welchen beiden Bomben, Brownings, Munition und Zyankali beigestellt.“

Nach dem Krieg vertrat Wiesner allerdings die These von einer Mitwisserschaft der serbischen Regierung.

Der serbischen Regierung war bewusst, dass die Gefahr bestand, dass die Regierung Österreich-Ungarns mit einem Militärschlag auf das Attentat reagieren würde Sie bedauerte deshalb offiziell die Ermordung des Thronfolgers, bestritt jegliche Verwicklung und wies darauf hin, dass alle Täter aus dem von Österreich-Ungarn annektierten Bosnien stammten und damit k.u.k. Untertanen seien.

In Bosnien und Kroatien kam es zu heftigen antiserbischen Ausschreitungen. Diese wurden von der serbischen Presse zu massiven Anschuldigungen gegen Österreich-Ungarn benutzt, was in einen regelrechten Pressekrieg zwischen Serbien und dem Habsburgerreich mündete. In Wien sah man in den serbischen Verlautbarungen einen Beweis für eine serbische Mitschuld am Attentat. Serbien berief sich dagegen auf die im Lande verfassungsrechtlich garantierte Pressefreiheit und sah in der amtlich beeinflussten nationalistischen österreichisch-ungarischen Presse (besonders der konservativen „Reichspost“) den wahren Problemherd.

 

Österreich-Ungarn

In Österreich-Ungarn drängten hochrangige Militärs und Politiker wie der Chef des Generalstabs, Franz Conrad von Hötzendorf, der österreichische Ministerpräsident Karl Stürgkh und Kriegsminister Alexander von Krobatin bereits seit Jahren auf ein militärisches Vorgehen gegen Serbien. Sie glaubten, nur so der grossserbischen Bewegung beikommen zu können, die auf einen Anschluss aller südslawischen Gebiete des Habsburgerreichs an Serbien abzielte. Aussenminister Leopold Berchtold, Kaiser Franz Joseph I. und vor allem der nun ermordete Thronfolger Franz Ferdinand hatten sich diesen Plänen jedoch bislang widersetzt.

WEITERLESEN

Nach dem Attentat forderte Conrad einen sofortigen Angriff gegen Serbien. Berchtold erwiderte, ein solcher Schritt müsse gut vorbereitet werden. Am 1. Juli teilte er dann dem ungarischen Ministerpräsidenten István Tisza mit, man habe sich im Auswärtigen Amt auf eine Abrechnung mit Serbien verständigt. Tisza jedoch hielt den Augenblick für ungünstig und protestierte mit einem Schreiben an Kaiser Franz Joseph. Dem ungarischen Ministerpräsidenten ging es auch darum, zu verhindern, dass das prekäre Gleichgewicht der Doppelmonarchie durch eine eventuelle Annexion Serbiens gestört würde. Denn ein Zuwachs an slawischen Untertanen hätte den Anhängern eines Trialismus Auftrieb geben und die Stellung Ungarns schwächen können.

Conrads Plan eines schnellen und entscheidenden Überraschungsschlags war aber militärisch für die k.u.k. Armee gar nicht durchführbar, da sie selbst bei einem begrenzten Krieg gegen Serbien eine Mobilmachungszeit von 16 Tagen hatte. Der Generalstabschef wollte damit nur den Kriegszustand erreichen und jegliches Einlenken von Seiten der Politik ausschliessen.

 

„Mission Hoyos“ und „Blankoscheck

In einer Ministerrat-Sitzung am 2. Juli 1914 in Wien konnte noch keine Einigung mit Tisza erzielt werden,  aber man beschloss, Legationsrat Alexander Graf von Hoyos, den Kabinettschef und engsten Berater von Aussenminister Berchtold, als Gesandten nach Berlin zu schicken, um zu eruieren, ob es eine deutsche Rückendeckung für ein militärisches Vorgehen gäbe.

Hoyos reiste am 5. Juli 1914 nach Berlin und hatte dort eine Unterredung mit Arthur Zimmermann, dem Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt. Hoyos drängte, der Habsburgermonarchie „bei dieser Gelegenheit freie Hand gegen Serbien“ zu geben. Nach einer Unterredung mit dem österreichisch-ungarischen Botschafter Ladislaus von Szögyény-Marich stellte Kaiser Wilhelm II. dann den berühmten „Blankoscheck“ aus, den Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg am 6. Juli bestätigte.  In einem Telegramm sicherte er Österreich-Ungarn bei einem Vorgehen gegen Serbien die volle und bedingungslose Unterstützung des Reiches zu:

WEITERLESEN

„Kaiser Franz Joseph könne sich aber darauf verlassen, dass S[eine] M[ajestät] im Einklang […] und seiner alten Freundschaft treu an Seite Österreich-Ungarns stehen werde.“

Inwieweit es sich von deutscher Seite jedoch tatsächlich um eine Blanko-Vollmacht handelte, ist strittig. Während etwa Sebastian Haffner konstatiert, die Entscheidung für den Schlag gegen Serbien sei nicht in Wien, sondern am 5. Juli 1914 in Potsdam gefallen, und zwar ausdrücklich auch für den Fall, dass sich daraus „ernste europäische Komplikationen“ ergeben sollten, meint der Historiker Eric A. Leuer, dass der Krieg sehenden Auges vom k.u.k. Aussenministerium herbeigeführt und billigend in Kauf genommen wurde. Dabei habe Wien nicht nur einen lokal begrenzten Krieg geplant, sondern die Verantwortlichen seien bereit gewesen, einen weite Teile Europas umfassenden Krieg auszulösen, weil sie glaubten, dadurch den „Vielvölkerstaat“ Österreich-Ungarn wieder stabilisieren und somit retten zu können.

 

Telegramm Zur Hoyos Mission
Der „Blankoscheck“, das Telegramm des österreichisch-ungarischen Botschafters an Außenminister Berchthold über das Ergebnis der Hoyos-Mission.
Hoyos2 2
Alexander Graf von Hoyos (*  1876 in Fiume város, heute Rijeka; † 1937 in Schwertberg, Oberösterreich) war ein österreichisch-ungarischer Diplomat vor und während des Ersten Weltkrieges, der in der Julikrise eine bedeutende Rolle spielte. Insbesondere führte er die Mission Hoyos durch, deren Ergebnisse den Krieg gegen Serbien einleiteten.

Eingreifen Russlands

Die Gefahr des österreichischen Vorgehens lag in einem Eingreifen Russlands, das sich als Schutzmacht Serbiens betrachtete. Bei einem (unprovozierten) Angriff Russlands gegen Österreich-Ungarn aber musste laut Zweibund-Vertrag Deutschland dem Bündnispartner zur Hilfe kommen. Ein Krieg zwischen Russland und Deutschland wiederum bedeutete für Frankreich den Bündnisfall.
Wie sehr die österreichisch-ungarischen Verantwortlichen mit einem russischen Eingreifen rechneten, ist in der Forschung umstritten. Aussenminister Berchtold schrieb am 25. Juli jedoch in einem vertraulichen Telegramm an seinen Botschafter in St. Petersburg Friedrich von Szápáry:

WEITERLESEN

„In dem Augenblicke, wo wir uns zu einem ernsten Vorgehen gegen Serbien entschlossen haben, sind wir uns natürlich auch der Möglichkeit eines sich aus der serbischen Differenz entwickelnden Zusammenstosses mit Russland bewusst gewesen. […] Wir konnten uns aber durch diese Eventualität nicht in unserer Stellungnahme gegenüber Serbien beirren lassen, weil grundlegende staatspolitische Considerationen uns vor die Notwendigkeit stellten, der Situation ein Ende zu machen, dass ein russischer Freibrief Serbien die dauernde, ungestrafte Bedrohung der Monarchie ermögliche.“

 

Pläne zur Aufteilung Serbiens

Darüber, was mit Serbien nach einem Militärschlag geschehen solle, bestand zum Zeitpunkt der Hoyos-Mission noch keine Einigkeit. In einem Schreiben vom 2. Juli an Kaiser Wilhelm, das Hoyos im Rahmen seiner Mission übergab, formulierte Kaiser Franz Joseph, Ziel seiner Regierung sei „die Isolierung und Verkleinerung Serbiens“. Dieser Staat sei „Angelpunkt der panslawistischen Politik“ und müsse daher „als politischer Machtfaktor am Balkan ausgeschaltet“ werden. Hoyos persönlich sprach am 5. Juli gegenüber Zimmermann von einer „völligen Aufteilung“ Serbiens, was Berchtold später nach dem Protest Tiszas als persönliche Meinung des Grafen darstellte.

WEITERLESEN

In einer Ministerratsitzung am 19. Juli 1914 verständigen sich die k.u.k. Minister dann darauf, nach Möglichkeit kein serbisches Territorium zu annektieren, Serbien aber durch Abtretung grosser Gebiete an befreundete Balkanstaaten zu schwächen. Ausserdem beschloss man, gegenüber anderen Mächten ein territoritales Desinteresse zu erklären. Österreichisch-ungarische Diplomaten in Sankt Petersburg und London betonten deshalb wiederholt, man habe keine Eroberungsabsichten. So liess Berchtold dem russischen Aussenminister Sergei Dmitrijewitsch Sasonow mitteilen:

„dass wir bei unserer Aktion gegen Serbien keinerlei territorialen Erwerb beabsichtigen und auch die selbständige Existenz des Königreiches ganz und gar nicht vernichten wollen. […] Die Monarchie ist territorial saturiert und trägt nach serbischem Besitz kein Verlangen. Wenn der Kampf mit Serbien uns aufgezwungen wird, so wird dies für uns kein Kampf um territorialen Gewinn, sondern lediglich ein Mittel der Selbstverteidigung und Selbsterhaltung sein.“

Allerdings wurden die österreichischen Pläne, Serbien zu verkleinern, durch Indiskretionen österreichisch-ungarischer Botschaftsmitarbeiter in London bekannt. Der deutsche Kanzler Bethmann Hollweg äusserte sich daraufhin empört über die „unerträgliche Zweideutigkeit“ Wiens hinsichtlich seiner Kriegsziele.

Gegenüber der britischen Regierung liess die k.u.k Regierung am 29. Juli verlauten, sie könne nicht voraussehen, was sie nach einem siegreichen Krieg tun werde. Es sei aber natürlich, dass „alle auf unser Desinteressement bezüglichen Erklärungen nur für den Fall gelten, dass der Krieg zwischen uns und Serbien lokalisiert bleibe“.

 

Ultimatum an Serbien

Am 14. Juli konnten sich die k.u.k. Minister mit Tisza darauf verständigen, Serbien nach einem geplanten französischen Staatsbesuch in Russland ein auf 48 Stunden befristetes Ultimatum zu stellen, dessen Forderungen so scharf sein sollten, „dass mit der Wahrscheinlichkeit einer kriegerischen Auseinandersetzung gerechnet werden muss.“ Der deutsche Verbündete wurde darüber informiert und drängte, dass das Ultimatum unannehmbar sein müsse. Auch Berchtold hatte bereits am 7. Juli 1914 den k.u.k. Gesandten in Belgrad Wladimir Giesl instruiert: „Wie immer die Serben reagieren – Sie müssen die Beziehungen abbrechen und abreisen; es muss zum Krieg kommen“.

WEITERLESEN

Das Ultimatum wurde dann am 23. Juli um 18 Uhr abends durch den Gesandten Giesl in Belgrad übergeben. Es enthielt 10 Forderungen, u. a. Tankositsch und Ciganovic schnell festzunehmen, die Narodna Odbrana und ähnliche Vereine aufzulösen, alle anti-österreichischen Publikationen zu verhindern und alle der anti-österreichischen Propaganda schuldigen Lehrer, Offiziere und Beamte zu entlassen. Am brisantesten waren aber die Punkte 5 und 6. Sie forderten,

„5. einzuwilligen, dass in Serbien Organe der k. u. k. Regierung bei der Unterdrückung der gegen die territoriale Integrität der Monarchie gerichteten subversiven Bewegung mitwirken; 6. eine gerichtliche Untersuchung gegen jene Teilnehmer des Komplottes vom 28. Juni einzuleiten, die sich auf serbischem Territorium befinden; von der k. u. k. Regierung hiezu delegierte Organe werden an den diesbezüglichen Erhebungen teilnehmen;“

Die meisten Historiker gehen davon aus, dass das Ultimatum bewusst unannehmbar gefasst worden war und gar nicht angenommen werden sollte. So konstatiert etwa Manfried Rauchensteiner: Einig war man darüber, die Begehrnote an Serbien zum frühestmöglichen Zeitpunkt abzusenden und sie so zu redigieren, dass sie von Belgrad abgelehnt werden musste. Dafür spricht auch, dass bereits am 25. Juli, d.h. einen Tag vor Ablauf der Frist des Ultimatums durch Baron Hold von Ferneck im k. u. k. Aussenministerium im Voraus eine ablehnende Antwort auf die Reaktion Serbiens erarbeitet wurde. Falls Serbien alle Bedingungen des Ultimatums annehme, dabei aber auch nur den leisesten Protest äussere, sollte die Reaktion aus den folgenden Gründen als unzureichend beurteilt werden: 1.) Weil Serbien entgegen seiner 1909 eingegangenen Verpflichtung Österreich-Ungarn gegenüber eine feindliche Haltung eingenommen habe, 2.) Weil es die Befugnis Österreich-Ungarns, Serbien nach eigenem Ermessen zur Verantwortung zu ziehen, offensichtlich in Frage stelle, 3.) weil von einer inneren Umkehr Serbiens keine Rede sein könne, obwohl es mehrmals dazu ermahnt wurde, 4.) weil es Serbien offensichtlich an ehrlicher Absicht und Loyalität mangele, um die Bedingungen des Ultimatums zu erfüllen. Auch wenn Serbien alle Bedingungen ohne Widerrede annehme, so könne dennoch angemerkt werden, dass es die im Ultimatum geforderten Schritte weder unternommen noch über sie informiert habe.

Christopher Clark dagegen rechtfertigt das Ultimatum damit, dass Serbien entgegen der offiziellen Zusicherung niemals Ermittlungen gegen die Hintermänner des Attentats eingeleitet habe, die der Schwere der Tat angemessen gewesen seien. Die Ermittlungen seien eine Woche nach dem Attentat weitgehend abgeschlossen worden. Ausserdem habe es in der Geschichte schon weit gravierendere Forderungen gegeben, die nicht als unannehmbar gegolten hätten, etwa jene, die die NATO Serbien 1999 im Vertrag von Rambouillet gestellt hat. Auch John Keegan sieht in der Forderung nach Ermittlungen durch k.u.k. Behörden nichts, was andere Nationen als Verletzung ihrer Grundsätze hätten betrachten müssen, da Serbien – wie er wortwörtlich ausführt – zu dieser Zeit in den Augen der internationalen Gemeinschaft fast den Status eines Schurken besass.

Noch vor Ablauf der Serbien gesetzten Frist wurde am 25. Juli in Budapest der serbische Generalstabschef und Kriegsminister Radomir Putnik verhaftet, der sich auf der Durchreise von einer Kur im steirischen Bad Gleichenberg nach Serbien befand. Putnik wurde jedoch schnell wieder freigelassen.

 

Deutsches Reich

Zu den umstrittensten Aspekten der Julikrise zählt seit langem die Einschätzung der Rolle der deutschen Führung.

Nach dem Attentat sind zunächst keine Aktivitäten oder Pläne dokumentiert. Am 3. Juli jedoch hatte der sächsische Militärbeauftragte Traugott Leuckart von Weissdorf ein Gespräch mit dem Oberquartiermeister im Generalstab Georg von Waldersee. Leuckart berichtete hinterher seiner Regierung, Waldersee habe gesagt, es könne von heute auf morgen zum Krieg kommen. Nach Leuckarts Einschätzung würde der Generalstab einen Krieg auch begrüssen. Allerdings zögere der Kaiser noch.

 

So wirklich war man sich im Juli 1914 der drohenden Gefahr nicht bewusst. Zumindest lassen die Feriendestinationen der Mächtigen und deren Befehlshaber diesen Schluss zu. Kaiser Wilhelm weilte auf seiner Nordlandfahrt, sein Aussenminister befand sich auf Hochzeitsreise in der Zentralschweiz. Der Generalstabsschef verbrachte einen Kuraufenthalt im heute tschechischen Karlsbad und der Befehlshaber der kaiserlichen Marine weilte in Tarasp im schweizerischen Unterengadin. Franz Josef hielt sich, wie jeden Sommer in seiner Villa in Ischl im Salzkammergut auf.

Präventivkriegspläne oder Lokalisierungsglauben?

Seit der Gründung der Triple Entente im Jahr 1907 fühlte sich Deutschland von seinen Gegnern zunehmend „eingekreist“. Vor allem der Generalstab sah eine existentielle, militärische Bedrohung und ging fest davon aus, dass die Aufrüstung von Russland und Frankreich dazu dienen sollte, ungefähr 1916 einen Krieg vom Zaun zu brechen. Zu diesem Zeitpunkt glaubte Generalstabschef Moltke aber, einen Krieg nicht mehr gewinnen zu können. Deshalb drängte er bereits seit 1908 auf einen Präventivkrieg zu einem früheren Zeitpunkt. Im so genannten Kriegsrat vom 8. Dezember 1912  diskutierte Wilhelm II. dann mit den Spitzen des Militärs, ob die durch den Ersten Balkankrieg entstandene Krise dazu genutzt werden solle, einen solchen Krieg herbeizuführen. Da der Leiter des Reichsmarineamtes Admiral Tirpitz sich aber noch nicht ausreichend gerüstet sah, nahm man von dem Plan Abstand. Der Generalstab warnte die Regierung jedoch weiter eindringlich vor der, seiner Meinung nach, immer brisanter werdenden militärischen Lage, zuletzt in einem Memorandum vom 15. Mai 1914. Zahlreiche Historiker sind der Meinung, dass das Attentat von Sarajevo vom Generalstab als „goldene Gelegenheit“ für einen Krieg begrüsst wurde.

WEITERLESEN

Als am 5. Juli der „Blanko-Scheck“ ausgestellt wurde, gingen jedoch offenbar die meisten Beteiligten auf deutscher Seite davon aus, dass Russland in einen österreichisch-serbischen Krieg nicht eingreifen würde. Hans von Plessen, der Generaladjutant Wilhelms II., notierte nach einem Gespräch mit dem Kaiser, Kriegsminister Erich von Falkenhayn und Moriz von Lyncker, dem Chef des kaiserlichen Militärkabinetts in sein Tagebuch:

„Bei uns herrscht die Ansicht, dass die Österreicher je früher, je besser gegen Serbien losgehen und dass die Russen – obwohl Freunde Serbiens – doch nicht mitmachen.“

Kriegsminister Falkenhayn dagegen schrieb in einem Brief an den in Karlsbad zur Kur weilenden Generalstabschef Moltke, sowohl er wie Kanzler Bethmann Hollweg seien der Ansicht, dass sich Österreich letztendlich doch nicht zu einem ernsten Schritt aufraffen werde. Der stellvertretende Leiter des Auswärtigen Amtes, Arthur Zimmermann, allerdings soll in der Unterredung mit Hoyos von „90 Prozent Wahrscheinlichkeit“ gesprochen haben, dass ein grosser Krieg komme. Trotzdem, so äusserte er sich später gegenüber Vertrauten, habe er den zögernden Kanzler zur Bestätigung des Blanko-Schecks gedrängt.. Und in den Tagebuchaufzeichnungen von Kurt Riezler, dem engsten Vertrauten von Reichskanzler Bethmann Hollweg, heisst es am 8. Juli:

„Eine Aktion gegen Serbien kann zum Weltkrieg führen. Der Kanzler erwartet von einem Krieg, wie er auch ausgeht, eine Umwälzung alles Bestehenden […]. Kommt der Krieg aus dem Osten, so dass wir also für Oesterreich-Ungarn und nicht Oest[erreich]-Ungarn für uns zu Felde zieht, so haben wir Aussicht, ihn zu gewinnen. Kommt der Krieg nicht, will der Zar nicht oder rät das bestürzte Frankreich zum Frieden, so haben wir doch noch Aussicht, die Entente über diese Aktion auseinander-zumanoeuvrieren.“

Gegen Ende des Krieges gestand Bethmann Hollweg selber: „In gewissem Sinne war es ein Präventivkrieg“.

Diese widersprüchliche Quellenlage ist ein Hauptgrund für die bis heute anhaltende Forschungsdebatte. Fritz Fischer ging davon aus, dass die politische Führung Deutschlands 1914 gezielt einen europäischen Krieg herbeiführen wollte und damit einen Griff nach der Weltmacht tun. Egmont Zechlin dagegen vertrat die Meinung, dass die deutsche Politik zwar bewusst das Risiko eines Weltkrieges in Kauf genommen habe, jedoch nicht, um Weltmachtspläne zu realisieren, sondern um einem als sicher angenommenen baldigen Angriff Russlands und Frankreich zu einem „günstigeren Zeitpunkt“ zuvorzukommen. Er meint, die deutschen Politiker hätten vielfach den gängigen begrenzten „Kabinettskrieg“ erwartet, die Entente habe jedoch mit einem „Hegemonialkrieg“ geantwortet. Da Bethmann Hollweg mit einem solchen „Auskämpfen“ nicht gerechnet habe, habe er den europäischen Krieg als tragbares Risiko betrachtet. Auch andere Forscher sehen die Angst vor der steigenden Macht Russlands als zentrales Motiv der deutschen Politik. Obwohl auch die Stärke Deutschlands immer mehr zunahm, hielten demnach der „fatalistische“ Bethmann Hollweg, der „selbstzweifelnde“ Moltke und der „labile“ Wilhelm, mit seinen Ängsten vor Sozialismus, „Gelber Gefahr“ und „Slawischer Flut“, die Zeit für die „letzte Abrechnung“ gekommen. Christopher Clark dagegen geht davon aus, dass die gesamte deutsche Führung das Risiko für ein Eingreifen Russlands als minimal eingeschätzt habe, als der Blanko-Scheck ausgestellt wurde. Lüder Meyer-Arndt glaubt, dass sich die deutschen Politiker an die „unüberlegte Erklärung“ Kaiser Wilhelms gebunden fühlten, was ihnen in der Folge die Handlungsfreiheit genommen habe.

 

Die Vorbereitung des Ultimatums

Am 6. Juli trat der Kaiser seine geplante Urlaubreise nach Norwegen an. Ob man nur die Öffentlichkeit durch eine Absage nicht beunruhigen wollte, ob es sich um eine bewusste Täuschung über den Ernst der Lage handelte oder ob Bethmann Hollweg vor allem den unberechenbaren Kaiser aus dem Weg haben wollte, ist umstritten. Auch zahlreiche andere Politiker und Militärs traten ihre Urlaube an. Dafür kam Gottlieb von Jagow, der Staatssekretär im Auswärtigen Amt am 8. Juli von seiner Hochzeitsreise zurück. In der Folge übernahm das Aussenministerium die Federführung der Politik. Allerdings waren sowohl Bethmann Hollweg auf seinem Landgut in Hohenfinow wie Georg von Waldersee auf Schloss Ivenack telegraphisch erreichbar und kamen beide während der nächsten zweieinhalb Wochen mehrmals nach Berlin. Auch der Kaiser hatte auf seiner Jacht Hohenzollern eine Funkanlage und wurde – allerdings selektiv – auf dem Laufenden gehalten.

WEITERLESEN

In den Gesprächen mit Hoyos und Szögyény-Marich am 5. und 6. Juli hatten sich sowohl der Kaiser, wie Zimmermann und Bethmann Hollweg für ein möglichst schnelles Fait accompli ausgesprochen. In der Folge drängten die deutschen Politiker in Wien wiederholt, möglichst rasch zu handeln und das geplante Ultimatum unannehmbar abzufassen. So erklärte der deutsche Botschafter in Wien, Heinrich von Tschirschky, k.u.k. Aussenminister Berchtold, Kaiser Wilhelm habe ihn angewiesen, „hier mit allem Nachdruck zu erklären, dass man in Berlin eine Aktion gegen Serbien erwarte und dass es in Deutschland nicht verstanden würde, wenn wir die gegebene Gelegenheit vorübergehen liessen, ohne einen Schlag zu führen.“ Ein weiteres „Transigieren“ (Verhandeln) mit Serbien, so interpretierte Berchtold, würde in Deutschland als Schwächebekenntnis ausgelegt.

Inwieweit bereits Vorbereitungen für einen grossen Krieg getroffen wurden, ist umstritten. Fritz Fischer ging davon aus, dass die Ministerrunden in Berlin am 10., 15. und 18. Juli der Kriegsvorbereitung dienten. Waldersee erklärte am 17. Juli:

„Wir sind hier im Generalstabe fertig.“

Am 22. Juli wurde die deutsche Regierung von Wien über den genauen Wortlaut des Ultimatums informiert. Offiziell aber beharrte sie während der gesamten Krise darauf, die österreichisch-ungarischen Pläne nicht gekannt zu haben.

 

Russland

Die russische Politik war bereits seit der Mitte des 19. Jahrhunderts von dem Bestreben geprägt, eine möglichst grosse Kontrolle über den Balkan und damit über die für den russischen Handel immens wichtigen türkischen Meerengen Bosporus und Dardanellen zu bekommen. Seit dem Ende des Zweiten Balkankrieges im August 1913 war jedoch Serbien als einziger Verbündeter auf dem Balkan geblieben.

WEITERLESEN

Nach dem Attentat von Sarajewo rechnete man in St. Petersburg von Anfang an mit einer „Strafaktion“ Österreichs gegen Serbien. Bereits am 7. Juli lancierte deshalb die russische Botschaft in Wien eine Zeitungsmeldung, in der es hiess, man werde nicht protestieren, wenn Österreich eine Untersuchung in Belgrad verlange, einer Beeinträchtigung der politischen Selbstständigkeit Serbiens aber nicht zusehen. Am 16. Juli und 18. Juli erfolgten ähnliche Warnungen an die Regierung in Wien.

Um den 17. Juli herum erfuhr man in St. Petersburg aus verschiedenen Quellen, dass Österreich ein „scharfes“ Ultimatum plante. Vom 20. bis 23. Juli stand dann ein lange geplanter Staatsbesuch des französischen Verbündeten an. Über den Inhalt ihrer Gespräche mit der russischen Regierung gibt es keine offiziellen Protokolle. Christopher Clark hat jedoch zahlreiche inoffizielle Dokumente ausgewertet, die darauf schliessen lassen, dass die französische Seite ein „festes Zusammenstehen“ in der kommenden Krise forderte. Aus dem Abschluss-Kommuniqué des Besuches geht ebenfalls „die volle Entschlossenheit der französischen Regierung“ hervor, Bündnistreue zu wahren und gemeinsam mit den Russen zu handeln.

Auch die russische Führung scheint entschlossen gewesen zu sein, keine weitere diplomatische Demütigung wie in der bosnischen Annexionskrise 1908 und keine Schwächung ihrer Position auf dem Balkan mehr hinzunehmen. Die Verantwortlichen fürchteten vermutlich auch eine Revolution für den Fall, dass sie das „slawische Brudervolk“ im Stich liessen.

 

Frankreich

Die französische Staatsregierung scheint nach dem Attentat zunächst nicht mit gefährlichen politischen Folgen gerechnet zu haben. Ausschlaggebend war wohl die Einschätzung des erfahrenen Botschafters in London, Paul Cambon, der meinte, Österreich-Ungarn werde Serbien mit Sicherheit nicht für eine Untat verantwortlich machen, die von k.u.k. Untertanen begangen worden sei. Dies änderte sich schlagartig, als Präsident Raymond Poincaré sowie Ministerpräsident und Aussenminister René Viviani während des Staatsbesuchs in Sankt Petersburg erfuhren, dass Wien offenbar ein „scharfes“ Ultimatum plante. Poincaré erklärte daraufhin, Frankreich würde seine Bündnisverpflichtungen im Falle eines Krieges einlösen. Diese Zusage wird oft als „zweiter Blanko-Scheck“ bezeichnet.

WEITERLESEN

Der Historiker Stefan Schmidt weist in seiner auf neu erschlossenen französischen Quellen basierenden Arbeit darauf hin, dass neben dem Wunsch nach Rache für die Niederlage von 1870/71 und der Rückholung Elsass-Lothringens macht- und bündnispolitische Überlegungen einen hohen Einfluss auf die Denkweise der französischen Führung ausübten. Es galt einerseits, das Ansehen Frankreichs als Grossmacht zu wahren. Andererseits kannte und fürchtete man die deutschen Präventivkriegsüberlegungen. Deshalb hatte das Bündnis mit Russland aussenpolitisch grösste Priorität. Allerdings liess die wachsende Militärmacht des Zarenreichs bei der französischen Führung auch die Angst aufkommen, der Verbündete könne sich bei einem Konflikt mit Deutschland, der nur französische Interessen tangiere, vor seinen Bündnisverpflichtungen drücken. So entschieden sich Poincaré und Maurice Paléologue, der französische Botschafter in Sankt Petersburg, Russland die unbedingte Unterstützung Frankreichs zuzusichern, verlangten im Gegenzug aber im Falle eines Krieges einen schnellen russischen Angriff auf Ostpreussen, um den deutschen Schlieffen-Plan zu unterlaufen. Diese französische Politik der „fermeté“, der Stärke und Festigkeit, war darauf gerichtet, den deutsch-österreichischen Zweibund entweder von einem Krieg gegen Serbien abzuschrecken, oder einen gesamteuropäischen Krieg, falls er denn käme, erfolgreich zu führen: Denn war es einerseits in innen- und aussenpolitischer Hinsicht erforderlich, das Deutsche Reich mit der Kriegsschuld zu belasten und ihm im Zuge eines kalkulierten Manövers die Initiative im Rekurs auf die militärischen Machtmittel zu überlassen, so galt es andererseits sicherzustellen, dass Russland zu einem umgehenden und uneingeschränkten Angriff auf das Deutsche Reich schritt, resümiert Stefan Schmidt.

 

Grossbritannien

Grossbritannien war mit Frankreich und Russland seit 1907 in der Triple Entente verbunden. Der Vertrag enthielt jedoch keine Bündnisverpflichtungen im Kriegsfall. Allerdings hatte die Regierung mit Frankreich ein geheimes Marine-Abkommen geschlossen. Dies sah vor, dass die gesamte französische Flotte im Mittelmeer stationiert war. Im Gegenzug versprach Grossbritannien den Schutz der französischen Kanal- und Atlantikküste. Im Sommer 1914 war es ein Hauptinteresse der britischen Politik, mit Russland in gutem Einvernehmen zu bleiben, um ein Aufbrechen von Konflikten im Nahen und Mittleren Osten zu verhindern.

WEITERLESEN

Die deutsche Regierung jedoch machte sich aufgrund verbesserter Beziehungen zu Grossbritannien im Jahr 1914 Hoffnung, dass dies seinen Entente-Partnern im Konfliktfall nicht beispringen würde. In wieweit das Vertrauen auf eine britische Neutralität die Politik der deutschen Reichsleitung in der Julikrise bestimmte, ist unter Historikern nach wie vor umstritten. Während etwa Fritz Fischer davon ausging, dass das gesamte Kalkül der deutschen Regierung in der Julikrise auf einer englischen Neutralität im Kriegsfall beruhte, verweisen andere wie etwa Gerd Krumeich auf britisch-russische Gespräche über eine Marinekonvention im Frühsommer 1914. Die deutsche Regierung hatte über einen Spion davon Wind bekommen. Als die britische Regierung auf Nachfrage verneinte, dass es überhaupt Gespräche gebe, sei das „Wasser auf die Mühlen der Einkreisungsphobie der deutschen Regierung“ gewesen.

Am 6. Juli jedenfalls suchte der deutsche Botschafter in London, Karl Max von Lichnowsky den britischen Aussenminister Grey auf und äusserte „privatim“, seine Befürchtung, dass die k.u.k. Regierung eventuell aufgrund der serbenfeindlichen Stimmung im Land militärisch gegen Serbien vorgehen werde und dass aufgrund der russischen Rüstungen und der Marine-Gespräche die deutsche Regierung zu der Auffassung kommen könne, „dass es darum besser wäre, Österreich nicht zurückzuhalten und das Übel lieber jetzt als später herankommen zu lassen.“ Grey versuchte daraufhin, Lichnowsky zu beschwichtigen, dass es keine Anzeichen gäbe, dass „die Russen hinsichtlich Deutschlands besorgt, gereizt oder feindselig gesinnt seien.“ Über etwaige Entwicklungen in Österreich-Ungarn sei aber auch er besorgt und werde, wenn Verwicklungen entstünden, „allen mir zu Gebote stehenden Einfluss auf bieten, um Schwierigkeiten zu verringern und aus dem Wege zu räumen.“ Zwei Tage später erklärte Grey dem russischen Botschafter in London, Alexander Konstantinowitsch Benckendorff, „es wäre sehr wünschenswert, wenn die russische Regierung … alles in ihrer Macht tun wollte, um Deutschland zu beruhigen und es zu überzeugen, dass kein Coup gegen es vorbereitet werde“.

Als in den nächsten Wochen der britische Botschafter in Wien, Maurice de Bunsen, mehrmals warnte, dass Österreich eine Demütigung Serbiens beabsichtige und Russland, laut seinem Botschafter in Wien, Nikolai Schebeko, Serbien im Kriegsfall beistehen werde, führte dies im britischen Aussenministerium jedoch zu wenig Aufregung. In einem Gespräch mit Paul Cambon erklärte Grey, er vertraue darauf, dass Deutschland mässigend auf seinen Bündnispartner einwirken werde.

 

Italien

Das Königreich Italien war durch den Dreibund von 1882 verpflichtet, seinen Bündnispartnern Österreich-Ungarn und Deutschland beim Angriff zweier anderer Mächte oder bei einem unprovozierten Angriff Frankreichs auf ein Mitglied beizustehen.

Berchtold unterliess es jedoch absichtlich, Italien und das 1883 dem Dreibund beigetretene Rumänien von der beabsichtigten Aktion gegen Serbien zu unterrichten, da er voraussah, dass diese ihre Zustimmung nur gegen Kompensationen geben würden. Aber bereits am 14. Juli liess der italienische Aussenminister verlauten,

„unsere ganze Politik muss darauf gerichtet sein, […] jede territoriale Vergrösserung Österreichs zu verhindern, wenn diese nicht durch eine angemessene territoriale Entschädigung Italiens ausgeglichen wird.“

Die italienische Regierung machte dann auch keinerlei Vermittlungsversuche, sondern verfolgte in erster Linie die Frage möglicher Kompensationen im Falle einer Annexion Serbiens durch Österreich-Ungarn.

 

Die Reaktionen auf das Ultimatum

Das österreichisch-ungarische Ultimatum an Serbien wurde von den Mächten der Triple-Entente als Angriff auf die Souveränität Serbiens angesehen. Der britische Aussenminister Edward Grey etwa bezeichnete es als brüsk, unvermittelt und herrisch  und erklärte gegenüber dem deutschen Botschafter Lichnowsky, es überträfe alles, was er bisher in dieser Art jemals gesehen habe. Er regte an, dass Deutschland und England sich in Wien zusammen für eine Verlängerung der Frist einsetzen sollten. Ausserdem schlug er vor, dass, falls sich gefährliche Spannungen zwischen Österreich-Ungarn und Russland ergäben, die vier nicht unmittelbar beteiligten Mächte England, Deutschland, Frankreich und Italien die Vermittlung übernehmen sollten.

WEITERLESEN

Der russische Aussenminister Sasonow meinte, die harten Forderungen stünden in keinem Verhältnis zu den Versäumnissen, die Serbiens Regierung vielleicht angelastet werden könnten. Die Zerstörung Serbiens und des Gleichgewichts auf dem Balkan müsse verhindert werden. Der russische Ministerrat, der Kronrat und der Zar beschlossen daher bereits am 24. und 25. Juli für den Fall einer österreichischen Kriegserklärung an Serbien eine Mobilmachung der Militärbezirke Odessa, Kiew, Kasan und Moskau. An Serbien gab der Ministerrat am 24. Juli ein benachrichtigendes Memorandum heraus, wonach sich Russland bei den europäischen Grossmächten für eine Fristverlängerung des Ultimatums einsetzen werde, um „eine eingehende Untersuchung des Attentats von Sarajevo“ zu ermöglichen. Aus dem Memorandum geht weiter hervor, dass Russland seine Finanzmittel aus Deutschland und Österreich abziehen und im Falle eines österreichisch-ungarischen Angriffes auf Serbien nicht untätig bleiben werde.

Am Abend des 25. Juli um 17.55 Uhr überreichte Serbien, das bereits seit 15.00 Uhr die Generalmobilmachung in Kraft gesetzt hatte, eine Antwort auf das österreichisch-ungarische Ultimatum. Darin versprach es, die meisten Punkte zu erfüllen, wies aber die Teilnahme von k.u.k. Beamten bei Untersuchungen in Serbien zurück:

„Die königliche Regierung hält es selbstverständlich für ihre Pflicht, gegen alle jene Personen eine Untersuchung einzuleiten, die an dem Komplotte vom 15./28. Juni beteiligt waren oder beteiligt gewesen sein sollen, und die sich auf ihrem Gebiete befinden. Was die Mitwirkung von hierzu speziell delegierten Organen der k.u.k. Regierung an dieser Untersuchung anbelangt, so kann sie eine solche nicht annehmen, da dies eine Verletzung der Verfassung und des Strafprozessgesetzes wäre. Doch könnte den österreichisch-ungarischen Organen in einzelnen Fällen Mitteilung von dem Ergebnisse der Untersuchung gemacht werden.“

Die Antwort wurde von den Entente-Mächten als weitgehendes Entgegenkommen gewertet, von Österreich-Ungarn aber als „ungenügend“ und „vom Geist der Unaufrichtigkeit erfüllt“ zurückgewiesen. Die deutsche Regierung unterstützte diese Sichtweise. Sie wies alle Vermittlungsversuche mit der Begründung zurück, dass man Österreich-Ungarn wegen seines Konfliktes mit Serbien nicht vor ein europäisches Gericht ziehen könne.

Der am 27. Juli aus dem Urlaub zurückgekehrte Kaiser Wilhelm II. allerdings sah in der serbischen Antwort eine „Kapitulation demütigster Art“, mit der jeder Grund zum Krieg entfalle. Wilhelm schlug vor, dass Österreich lediglich Belgrad als „Faustpfand“ besetzen solle, um die Durchsetzung seiner Forderungen zu erzwingen. Diese Anregung reichte die deutsche Regierung jedoch nur verzögert und verstümmelt nach Wien weiter. Einen ganz ähnlichen Vorschlag machte dann der britische Aussenminister Grey am 29. Juli. Er meinte, Österreich solle nach einer Besetzung Belgrads seine Bedingungen bekannt geben, über die verhandelt werden könne. Dieser Vorschlag wurde am 30. Juli von der deutschen Regierung an Österreich-Ungarn weitergeleitet, dort jedoch zurückgewiesen. Auch der französische Präsident Poincaré lehnte ihn ab, so dass der französische Ministerpräsident Viviani ihn nicht weiter unterstützte.

Während viele Historiker die österreichisch-ungarische Weigerung, auf diesen Vorschlag einzugehen, als Fehler sehen, hält Christopher Clark die englischen Vermittlungsvorschläge für unrealistisch, da sie Österreich-Ungarn entweder keine wirklichen Vorteile gebracht hätten oder gegenüber Frankreich und vor allem Russland nicht durchsetzbar gewesen seien.

Vom österreichisch-serbischen zum grossen europäischen Krieg

Noch während der laufenden Vermittlungsbemühungen erklärte Österreich am 28. Juli Serbien den Krieg, denn Graf Berchtold wollte jedem Interventionsversuch den Boden entziehen und vollendete Tatsachen schaffen. Um die Unterschrift von Kaiser Franz Josef unter die Kriegserklärung zur erhalten, erwähnte er einen serbischen Angriff bei Temes Kubin, der aber wohl nie stattgefunden hat. Die eigentlichen Kriegshandlungen begannen vermutlich mit einer Beschiessung Belgrads am 29. Juli wenige Minuten vor ein Uhr morgens durch das DDSG Schiff “Inn” und mehrere k.u.k. Monitore.

WEITERLESEN

Die am Semliner Ufer versammelten Zuschauer glaubten schon an eine Beendigung dieses Zwischenfalls, da sprengten kurz darauf die Serben um zwei Uhr früh einzelne Felder der Eisenbahnbrücke zwischen Belgrad und Semlin und die k.u.k. Haubitzenbatterie auf der Semliner Seite eröffnete das Feuer. Zu diesem Zeitpunkt war Belgrad schon teilweise evakuiert. Der von Conrad von Hötzendorf lange geplante massive Beschuss Belgrads durch Artillerie und die k.u.k. Donauflottille hatte damit begonnen. Obwohl er militärisch bedeutungslos war, entfaltete er aber politische Wirkung, da Österreich-Ungarn nun alle Vermittlungsversuche als „zu spät gekommen“ zurück wies.

Russland antwortete am 29. Juli mit der Teilmobilmachung. Aussenminister Sasanow versicherte dem deutschen Botschafter Pourtalès, dass sich diese Mobilmachung nur gegen Österreich-Ungarn richte und es keine Massnahmen gegen Deutschland gebe. U. a. die neuen Forschungen von Christopher Clark zeigen jedoch, dass durchaus schon umfangreiche Vorbereitungsmassnahmen in den zu Deutschland hin gelegenen Militärbezirken im Gange waren. Gleichzeitig bemühte sich Sasanow aber um eine friedliche Lösung unter der Bedingung, dass diese nicht gegen die Souveränität und territoriale Integrität Serbiens gerichtet sei. Berchtolds Erklärung vom 28. Juli 1914, Russland habe nach Erhalt seiner Zusicherung, dass Österreich keinen Gebietserwerb anstrebe, kein Recht zur Einmischung, blieb wirkungslos, weil Sasonow die „Herabdrückung“ Serbiens zu einem österreichischen „Satellitenstaat“ befürchtete.

Einige Historiker wie Sean McMeekin oder auch Christopher Clark interpretieren die russische Mobilmachung als Kriegsentschluss. Diese Annahme ist jedoch nicht zwingend. Es könnte sich genauso gut um ein Drohszenario oder eine reine Vorsichtsmassnahme gehandelt haben, da Russland eine Mobilmachungszeit von mehreren Wochen hatte.

Die französische Regierung war wegen der Heimreise von St. Petersburg erst am 29. Juli wieder voll handlungsfähig und erhielt in der Nacht zum 30. Juli die Nachricht von der russischen Teilmobilmachung. Sie bat den Verbündeten, möglichst wenig offen und herausfordernd zu agieren, um keine deutsche Mobilmachung zu provozieren. Während aber Aussenminister Viviani aufgeschlossen für eine Verhandlungslösung im Sinne der englischen Vermittlungsangebote war, hatte es für Poincaré und die Spitzen des Militärs Vorrang, England zu einer offenen Bündniszusage zu bewegen, um sowohl die Drohkulisse gegenüber dem Zweibund wie die eigene Position im Kriegsfall entscheidend zu stärken.

Für das deutsche Militär ergab sich durch die russische Mobilmachung jedoch eine Zwangslage. Denn der Schlieffen-Plan, zu dem man keine Alternative hatte, sah vor, die russische Mobilmachungszeit zur Niederwerfung Frankreichs zu nutzen. Die deutsche Regierung liess in St. Petersburg deshalb mitteilen, dass ein Fortschreiten der russischen Massnahmen mit eigener Mobilmachung beantwortet werden müsse. Russland jedoch liess am 30. Juli das ganze Heer mobilmachen. Der deutsche Generalstabschef Helmuth von Moltke und Kriegsminister Erich von Falkenhayn drängten nun massiv auf eine deutsche Mobilmachung, um nicht wertvolle Zeit zu verlieren.

Während Kanzler Bethmann Hollweg noch zögerte, forderte Moltke seinen österreichischen Kollegen Conrad von Hötzendorf zur Generalmobilmachung auf, die am 31. Juli erfolgte. Am gleichen Tag verkündete Deutschland den „Zustand drohender Kriegsgefahr“ und stellte Russland ein Ultimatum von 12 Stunden, innerhalb derer die russische Generalmobilmachung einzustellen sei. Ein weiteres Ultimatum von 18 Stunden an Frankreich verlangte dessen Neutralität im Fall eines deutsch-russischen Konflikts. Um zu verhindern, dass Frankreich sich anfangs für neutral erklärte und später in den Krieg eintrat, was den Schlieffenplan sabotiert hätte, sollte Botschafter Wilhelm von Schoen die Grenzfestungen Verdun und Belfort als Pfand für eine französische Neutralität verlangen. Dazu kam es aber nicht, denn die französische Regierung antwortete, Frankreich werde „entsprechend seinen Interessen“ handeln.

Nachdem eine russische Antwort ausgeblieben war, liess Berlin am 1. August das deutsche Heer mobilmachen und erklärte Russland am Abend den Krieg. Da Frankreich die ultimative deutsche Neutralitätsforderung ausweichend beantwortet hatte, folgte am 3. August die deutsche Kriegserklärung an Frankreich.

Auf die deutsche Entscheidung, zur Eroberung Frankreichs, wie im Schlieffenplan vorgesehen, zuerst das neutrale Belgien zu besetzen, drohte Grossbritannien mit Krieg. Kanzler Bethmann Hollweg bat den britischen Botschafter Edward Goschen, doch wegen eines „Fetzens Papier“ nicht den Frieden zu brechen – gemeint war die internationale Garantie für die belgische Neutralität aus dem Jahr 1839. Grossbritannien jedoch erklärte Deutschland am 4. August den Krieg.

 

Die Krise in der Öffentlichkeit

In der Öffentlichkeit wurde die Krise lange Zeit nicht als solche wahrgenommen. Zwar rechnete man nach dem Attentat allgemein mit einem „Schritt“ Österreich-Ungarns gegen Serbien, vertraute aber den offiziellen Versicherungen, dass kein Eingriff in serbische Hoheitsrechte geplant sei. Als das Ultimatum bekannt wurde, hielt ein grosser Teil der deutschsprachigen Presse es für gerechtfertigt. Es gibt Hinweise, dass die deutsche Regierung hier im Vorfeld Einfluss genommen hat.

WEITERLESEN

So wies etwa der Legationsrat im Auswärtigen Amt, Ernst Langwerth von Simmern, den Geschäftsträger der Regierung in Hamburg an, die Chefredakteure von Hamburger Nachrichten, Korrespondent und Hamburger Fremdenblatt vertraulich darauf hinzuweisen, dass ein Krieg am besten dadurch vermieden werden könne, wenn Deutschland ruhig und fest an der Seite Österreich-Ungarns stehe. Die SPD rief am 25. Juli im Vorwärts zu Anti-Kriegskundgebungen am 28. Juli auf. In ganz Deutschland beteiligten sich daran schätzungsweise 500.000 bis 750.000 Menschen, darunter etwa 20 Prozent Frauen. Vereinzelt kam es zu Zusammenstössen mit der Polizei oder mit nationalen Demonstranten. Dagegen feiern deutschnationale Studenten, der Jungdeutschland-Bund und Teile des „gutbürgerlichen Publikums“ die serbische Ablehnung am 25. und 26. Juli mit Strassenkundgebungen.

Auch in den folgenden Tagen kam es zu Massenaufläufen in den deutschen Innenstädten, vor allem in Berlin. Diese rührten auch daher, dass die Menschen dort durch Extrablätter, Anschläge an den Litfasssäulen oder offizielle Bekanntmachungen am schnellsten die neuesten Entwicklungen erfuhren.

Am 2. August erfuhr die deutsche Bevölkerung aus der Presse von ersten russischen Angriffen in Ostpreussen, nicht jedoch, dass die eigene Regierung Russland bereits am Tag zuvor den Krieg erklärt hatte. Ebenfalls am 2. August kamen Gerüchte über französische Grenzverletzungen wie Bombenabwürfe bei Nürnberg auf, die am 3. August als amtlich bestätigte Mitteilung an die Presse weitergegeben wurden, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt bereits als „Tatarenmeldungen“ identifiziert worden waren. Der Glaube, sowohl von Russland wie von Frankreich heimtückisch überfallen worden zu sein, während der eigene Kaiser angeblich unermüdlich um den Frieden bemüht gewesen sei, führte in Deutschland zu einem Schulterschluss fast aller politischen Kräfte und zu einer grossen Zustimmung zum Krieg. Das Gefühl, schuldlos in den Krieg hineingezogen worden zu sein, gab es auch in den anderen beteiligten Ländern. Die ausziehenden Soldaten wurden vielerorts begeistert verabschiedet.

DER DOMINOEFFEKT – DAS KARTENHAUS ZERFÄLLT

Die konsequente Umsetzung der Bündnisverpflichtungen musste unweigerlich zur Folge haben, dass Österreich-Ungarns Kriegserklärung an Serbien in Europa eine verhängnisvolle Serie an diplomatischen Noten auslöste.

Bei der Kriegserklärung handelte es sich nach klassischem Völkerrecht um eine einseitige, formlose Willenserklärung an die gegnerische Kriegspartei, die den Eintritt des Kriegszustandes ankündigt.

Eine Kriegserklärung wurde einem Staat von einem anderen vor Aufnahme der Feindseligkeiten zugestellt, wenn letzterer seine Interessen bedroht oder seine Existenz gefährdet sah und keine diplomatische Lösung in Aussicht stand. Auch durch seine Bündnisverpflichtungen konnte sich ein Staat gezwungen sehen, eine Kriegserklärung gegen einen anderen auszusprechen.

Da mit der Kriegserklärung die diplomatischen Mittel als ausgeschöpft anzusehen sind, brechen die Kontrahenten üblicherweise die diplomatischen Beziehungen mehr oder weniger abrupt ab.

23. Juli 1914

Überreichung eines auf 48 Stunden befristeten Ultimatums Österreich-Ungarns an Serbien mit der Forderung, alle gegen die Donaumonarchie gerichteten Aktionen zu unterbinden.

28. Juli 1914

Nach Ablauf des Ultimatums erklärt Österreich-Ungarn dem Königreich Serbien den Krieg.

Kaiser Franz Josef I. richtet sich mit der Proklamation „An meine Völker“ an seine Untertanen und begründet den Schritt.

30. Juli 1914

Russische Generalmobilmachung

31. Juli 1914

Generalmobilmachung in Österreich-Ungarn. Die deutsche Regierung erklärt den „Zustand drohender Kriegsgefahr“ und fordert Russland ultimativ (12 Stunden) auf, die Mobilmachung zurückzunehmen, und Frankreich (18 Stunden), im Fall eines deutsch-russischen Krieges neutral zu bleiben.

1. August 1914

Kriegserklärung des Deutschen Reichs an Russland

Allgemeine Mobilmachung in Frankreich und in der Schweiz

2. August 1914

Im Zuge der deutschen Mobilmachung Besetzung Luxemburg, um die luxemburgischen Eisenbahnen zu sichern.

Abends Überreichung eines deutschen Ultimatums an Brüssel, in der die belgische Regierung aufgefordert wird, den Durchmarsch deutscher Truppen zuzulassen.

3. August 1914

Ablehnende belgische Antwortnote. Deutscher Einmarsch in Belgien.

Nachmittags: Kriegserklärung des Deutschen Reichs an Frankreich.

Neutralitätserklärung Rumäniens

Beginn der Verminung der Dardanellen durch das Osmanische Reich

4. August 1914

Die Verletzung der belgischen Neutralität durch das Deutsche Reich gibt Grossbritannien den Anlass zum Kriegseintritt. Britisches Ultimatum und Abbruch der diplomatischen Beziehungen was einer Kriegserklärung Grossbritanniens an Deutschland gleichbedeutend ist.

Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Belgien: Kriegszustand.

Ausruf des „Burgfriedens“ durch Wilhelm II. in welchem die politischen Parteien Deutschlands auf eine gemeinsame Strategie der Kriegsbewältigung ausgerichtet werden.

5. August 1914

Kriegserklärung Montenegros an Österreich-Ungarn

6. August 1914

Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Russland

Kriegserklärung Serbiens an das Deutsche Reich

11. August 1914

 

Kriegserklärung Montenegros an das Deutsche Reich

Kriegserklärung Frankreichs an Österreich-Ungarn

Kriegserklärung Aegyptens an die Mittelmächte (Deutsches Reich / Österreich-Ungarn)

 

12. August 1914

Kriegserklärung Grossbritanniens an Österreich-Ungarn

23. August 1914

Kriegserklärung Japans an das Deutsche Reich

null

Wer die Wahl hat, hat die Qual! Wo möchten Sie weiterfahren?

ZUR WAHL STEHEN EINBLICKE IN DIE BETEILIGTEN STREITKRÄFTE ODER EIN ÜBERBLICK ÜBER DEN KRIEGSVERLAUF AN ALLEN FRONTEN.